Der Implex
weitverbreiteten Gerücht entgegenzutreten, wonach jeder Versuch a priori zum Scheitern verurteilt sei, unter bürgerlichen, also klassisch aufgeklärten Diskursbedingungen Programme zu artikulieren, die auf die Brechung von nicht feudaler, sondern selbst bürgerlich instituierter oder durchgehaltener Unterdrückung wie etwa der patriarchalischen abzielt.
Die Aufklärung als solche ist diesem Gerücht zufolge weniger ein Vorgang gewesen, der bestehende Legitimationslehren ungerechter Herrschaft angegriffen und zersetzt hat, entlang von Kriterien und mittels Argumenten, die immanent gestatten, diese Aufklärung über sich selbst hinauszutreiben und damit den Vertreterinnen und Vertretern der Aufklärung selbst unbekannte oder intransparente Erscheinungsweisen solcher Herrschaft kritisch zu analysieren, sondern vielmehr die Durchsetzung einer vorher nie dagewesenen, ganz besonders perfiden Herrschaftstechnik. Das Gerücht macht unverkrampften Gebrauch von Versatzstücken verschiedenster Theorien, die selbst als Radikalisierungen der Aufklärung angefangen haben, etwa vom Marxismus: So wie die Lohnarbeiter nur von Sklaverei und Grundeigentum befreit wurden, um sie im Lohnarbeitsverhältnis umso schlimmer an die Kandare zu nehmen, lehrt das Gerücht, sei die Vernunft nur scheinbar etwas, das allen denk- und sprechfähigen Geschöpfen gleichermaßen erlaubt, jede vorhandene soziale Organisationsform am Anspruch des Nutzens für Freiheit und Wohlfahrt der Einzelnen zu messen, sondern einfach eine Ausschlußtechnik – ihr anderes, dasjenige nämlich, das im Gegensatz zu denen, die zuallererst die Aufklärung und die Vernunft politisch parolenfähig zurichteten, nicht weiß, männlich, heterosexuell sei, solle mittels Aufklärung und Vernunft als ausschlußwürdig, minderwertig, vernachlässigbar markiert und exkludiert werden.
Wider diesen mal schleichenden, mal schrillen Schrecken komme es nun darauf an, das Heterotope, Abjekte, Ausgeschlossene, Nichtwestliche, Nichtmännliche politisch mit Geltung zu adeln, Partikularitäten gegen zwangsläufig repressiven Universalismus zu stärken, das Nichtidentische aus dem Würgegriff der Identifikation zu lösen.
Unangenehm nur für alle, die das Gerücht glauben wollen, daß ebendiese schwere und verdienstvolle Arbeit des Streitens fürs Heterotope, Abjekte, Ausgeschlossene, Nichtwestliche und Nichtmännliche in recorded history nicht erst bei Foucault unternommen wird, sondern in den Waffenkammern ausgerechnet der Aufklärung just das schärfste Werkzeug findet – lesen wir Anna Laetitia Barbauld über Heteronomie, Ausschluß, Abwertung, Vernachlässigung, an die Adresse der weißen, mächtigen Männer: »It is you, who by considering us as Aliens, make us so. It is you who force us to make our dissent a prominent feature in our character. It is you who give relief, and cause to come out upon the canvas what we modestly wished to have shaded over, and thrown in the back ground. If we are a party, remember it is you who force us to be so.« 28
Es ging – weil die Aufklärung nun mal Gesinnungsstreitigkeiten liebte – in dem Zusammenhang, in dem diese Worte fielen, zwar um religiösen Dissens, aber da die erste erfolgreiche, tatsächlich das Gemeinwesen grundlegend verändernde Fundamentaloppositionsbewegung der Geschichte nun mal als Dogmenkritik beginnen mußte (Humanismus führt zu Reformation führt zu Aufklärung), sind die Gußformen der Kritik, die hier gewonnen wurden, für die Herstellung von Kanonen wider die Mauern von Ausschluß nach Geschlecht, Rasse, sexueller Identität und anderer »prominent features of our character« der schlecht Behandelten gleichermaßen geeignet. Was, mit anderen Worten, in Barbaulds wenigen, kurzen und knapp gehaltenen Sätzen aufscheint, ist nichts anderes als der Ursprung aller problematischen, aber auf den verschiedensten Gefechtsschauplätzen auch immer wieder unabdingbaren identity politics – um ihretwillen, und zur Benennung von allem, was sie rechtfertigen kann, hat Diedrich Diederichsen einmal Brechts tiefes Wort, es helfe nur Gewalt, wo Gewalt herrsche, zu der Formel abgewandelt, es helfe auch nur Identität, wo Identität herrsche (auch wenn man sich damit wieder ganz andere Probleme aufhalst und der Wunsch verständlich ist, das, was man nun einmal hat werden müssen, wenn schon nicht wollen, »modestly shaded over« nur im »back ground« halten zu müssen – ein bißchen kokett ist sie, diese kluge Demutsgeste
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