Der Implex
Geschlecht, und daß die Ausbildung und Förderung der Jungs auf ein paar Wohlstandsinseln in der sozialerzieherischen Absicht, den historischen Scheußlichkeiten mit ausgleichenden Ungerechtigkeiten zu begegnen, in den letzten Jahren vernachlässigt wurde, ist jedenfalls kein Argument dafür, das Problem für unlösbar zu halten und sich damit lieber nicht mehr zu belasten. Reproduktionsarbeit bleibt auch in flächendeckend mit Gleichstellungsbeauftragten besetzten Gebieten (ganz Gallien? Ganz Gallien, außer …) unbezahlt, so essentiell sie fürs Funktionieren der Volkswirtschaften sein mag, aber ob das (auch finanzielle) Aufwerten von dabei ungebrochen als weiblich zugerechneten Tätigkeiten, also die moralische Lösung, auch die politisch richtige ist, sollte man keineswegs für ausgemacht halten – die Frage ist doch vielmehr, ob das, was man übers Kinderbetreuen, die Altenpflege und die Hausarbeit weiß, eigentlich erlaubt, diese Tätigkeiten nach Geschlechtern zu spezialisieren, oder ob die Parole nicht etwa lauten könnte: Uniquoten nicht ohne Erziehungsquoten, die Hälfte des Schwangerschaftsurlaubs steht Papa oder dem zweiten Papa oder der zweiten Mama zu oder … Wer nicht über die Rechtsformen der Familie reden will, soll auch über Feminismus schweigen, und wer die Sache nur als Binnenproblem der reichen Länder angeht, wird dem Neokolonialismus helfen, dessen Wirtschaften und Regieren auf dem Territorium der bislang mit jedem Globalisierungsschritt weiter abgeschlagenen Gegenden immer dieselben Folgen hatte, von der Zerstörung das allergrößte Elend wenigstens abfedernder Familienstrukturen bis zur verbrecherischen Deregulierung der Sexdienstleistungsindustrie.
Die Gegenkräfte sind einstweilen nicht in der pädagogischen Metropolenlinken daheim, sondern in den sich hier und da, vorerst eher strohfeuerartig, regenden Klassenkämpfen, wo sich Frauen aus den geschilderten Anlässen und tieferliegenden strukturellen Gründen deshalb vermehrt bemerkbar machen – in Bolivien waren es zuerst Mütter, die gegen den Konzern Bechtel und dessen enforcer bei Welthandelsorganisation und Weltbank die Privatisierung der Wasserversorgung bekämpften; in Mali artikulierten Frauen deutlich den Widerspruch gegen die Dumpingverschleuderung von Bahnen sowie der Reis- und Baumwollbepflanzung an höchstbietende Investoren; auf den Philippinen organisierte eine Koalition von lokalen Frauengruppen die Straßenverkäuferinnen in einer eigenen Interessengemeinschaft; in Nicaragua gibt es eine öffentlich gut sichtbare Bewegung arbeitsloser Frauen etc.
Die Erscheinung ist nicht einmal so neu wie die jüngsten Gründe, sich zur Wehr zu setzen. Vijay Prashad, rastloser Chronist der darker nations , hat seine Leserschaft ausdauernd darüber unterrichtet, daß antikoloniale Bewegungen sowohl auf intellektueller und diskursiver wie auf praktischer Ebene von dem Moment an, da es sie gab, in weiten Teilen Frauensache waren wie wenig sonst in den betroffenen Regionen. Daß es Prashad bald gelingen wird, einer kritischen West- und Weltöffentlichkeit, für die Politik nur in Ausnahmefällen etwas mit Geschichte zu tun hat, den Gedanken nahezubringen, daß es da, wo heute Arundathi Roi wirkt, schon im Umfeld und in der direkten Nachfolge Gandhis etwa eine Rameshwari Nehru gab, sollte man allerdings nicht zu blauäugig hoffen.
Auch im heute wegen spezifischer Ungerechtigkeiten gegen Frauen von aufgeklärten Metropolenmenschen gern wortreich gezüchteten arabischen Raum gibt es eine Emanzipationsgeschichte – die Ägypterin Aisha Abdul-Rahman aber, die erste Frau, die sich 1929 eine Lehrbefugnis an der Al-Azhar-Universität verschaffen konnte (per Post: auf dem Campus waren Frauen erst 1964 zugelassen), eine Dichterin und Kritikerin Nassers (die den Schutz eines der engsten Freunde des befreiungsnationalistisch-bürgerlichen Diktators genoß), sah bereits »die Renaissance der Frauen des Ostens immer mit Aufstandsbewegungen« zusammenfallen – nur im Kampf gegen den Imperialismus, nicht etwa, wie kulturalistische Lesarten des Sexismus sich das denken, im Streit mit der Religion, »wurden Frauen aus der sozialen Sklaverei und dem moralischen Tod befreit« 26 , und nach allem zu urteilen, was wir über die entsprechende Chronologie von frühen antikolonialen Protesten in Indien ab 1905, den iranischen Verfassungskampf zwischen 1907 und 1911 und später noch einmal 1919 über die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts
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