Der Implex
Zweifels, den die Schriftstellerin sät, erst richtig fruchtbar. Die ganze frühfeministische Gärung rund ums Aufkommen der ersten chronikwürdigen Erscheinungsformen einer Querelle des Femmes , in ihrem Vorfeld wie ihren ersten Folgen, stand im Zeichen solcher vergleichsweise zurückhaltender Manöver; das Thema aber überhaupt zu etablieren, gelang in der von uns mehrfach charakterisierten frühaufklärerischen Atmosphäre, wie man es schöner nicht hätte generalstabsmäßig planen können: In der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts erschienen in Frankreich noch fünf Bücher, die sich mit dem Geschlechterproblem auseinandersetzten, zwischen 1640 und 1649 dann aber bereits sechsunddreißig 30 . Auf die mores wirkte sich das Palaver zunächst nur in denjenigen Kreisen aus, in denen Politisches geschrieben und gelesen wurde; ein (gemäßigter) Aufklärer und Republikaner wie Paolo Mattia Doria sah sich in seinen Ragionemanti aber wenig später bereits gezwungen, erste Ergebnisse der stattgehabten Veränderung in Überlegungen zum zeitgenössischen social engineering einzuspeisen, die ganz der Talleyrandschen These gehorchen, Revolutionen entstünden nicht aus übers Maß des Erträglichen hinaus verstärkter Unterdrückung, sondern aus Luftzug in dem, was wir oben »Lücken« in den begrifflichen und praktischen Befehlsketten von Unrecht und Ideologie genannt haben – schwächelt die Herrschaft erst einmal an Stellen, an denen sie sich selbst im Rahmen der selbstaufgerichteten Legitimitätskonstrukte nur unplausibel verteidigen kann, wachsen die Ansprüche auf Revision derselben bald exponentiell: Die neue, verbesserte Stellung der Frauen, weiß Doria, in den (v.a. Pariser) mondänen Zirkeln, wo man buon gusto, i.e. bürgerliches Raffinement in Duktus, Gestus, Hexis und Praxis kultiviert, bringe es zwangsläufig mit sich, daß Frauen, wenn sie die Gespräche der Männer belauschen, zu denen sie jetzt zugelassen sind, weil niemand mehr auch nur einen tragfähigen orthodoxen Grund dafür weiß, warum man sie ausschließen sollte, mehr als je zuvor lernen können über die soziale Wirklichkeit, über Politik, Religion, sogar Sexualität – das einzige Mittel aber, unter solchem Vorzeichen, wo der Wißtrieb rasch zum Schwungrad nicht mehr disziplinierbarer hedonistischer Ansprüche werden könne, die Verwilderung der Sitten zu verhindern, sei nun mal, den Frauen eben die Informationen, Erziehung, Bildung systematisch zu gewähren, die sie sich andernfalls erschleichen und für wer weiß was nutzen würden. Der einzige Schutz der Tugend ist nicht die Repression, sondern ebenjene Aufklärung, vor der es die Tugendwächter graust. In dem Labor, dessen Weißkittel dieser Sorte Sozialwissenschaft nachgingen, kann man per Rückschau also die Entstehung des vollgültigen weiblichen Subjekts studieren, das für unvermeidlich galt, wollte man nicht des weiblichen Objekts männlicher Familienplanung und damit Staatskonstitution verlustig gehen. Parallel zu diesem Hin und Her darüber, welche Rechte wem wann zugestanden werden sollten, bildete das betreffende Subjekt – fast möchte man sagen: in aller Ruhe – seine Subjektivität aus, übrigens ganz wie die Männer (noch einmal sei Petrarca erwähnt) vor allem poetisch, als Leute wie Aphra Behn (wir werden noch auf sie zu sprechen kommen) und andere Dichterinnen sich zunächst darin übten, die männliche Dichterrolle auszufüllen, sich beispielsweise als Ovid zu inszenieren und schöne Verse auf noch schönere bewunderte Frauen zu schreiben. Jonathan Israel, kein Feminist, aber dafür der wohl gründlichste Analytiker der Entstehung der lumières, der im letzten Halbjahrhundert zu Wort kam, lokalisiert im selben Zeitraum, der diese Umwälzungen sah, die radikalste, interessanteste Phase der Aufklärung, und Siep Stuurman hält dieses Zusammentreffen von Geschlechterauseinandersetzung und Verschärfung bürgerlichen Freiheitsdenkens für Anlaß genug, anzuregen, man möge sich nicht länger nur damit beschäftigen, was die Aufklärung als solche zu dem beigetragen habe, was heute Feminismus heißt, sondern umgekehrt herauszufinden suchen, wieviel diese frühe Angriffsphase der Aufklärung ihren feministischen Strömungen insgesamt verdankt (intuitiv und feinfühlig erfaßt findet sich der Zusammenhang im historischen Alternativwelten-Roman The Years of Rice and Salt von Kim Stanley Robinson, der eine Welt schildert, in der aufgrund eines grausameren Verlaufs der
Weitere Kostenlose Bücher