Der Implex
Nationalsozialisten etwa fanden nicht erst mühsam durch Feldstudien heraus, welche Stämme des Ostens denn jetzt dem irgendwie schädelmessenderweise oder sonstwie anthropometrisch präzise zu bestimmenden Kollektiv »slawische Untermenschen« entsprachen, und leiteten dann ihre Feldzüge samt unterstützender Bündnispolitik aus den Ergebnissen solcher Nachforschungen ab, sondern die vom Ergebnis des Ersten Weltkriegs und den deutschen Kriegszielen für den Zweiten diktierte militärische Raumordnungspolitik sorgte umgekehrt dafür, daß bei der Vergabe von Lehrstühlen, Institutspfründen und Aufmerksamkeit diejenigen Rassenkundler auf dem Platz an der Sonne landeten, deren Ansichten zu den Eroberungshoffnungen und -verläufen jeweils am besten paßten.
Die Herrenrasse ist diejenige, die andere unterdrückt – es wird behauptet, sie herrsche, weil sie eine Herrenrasse ist, aber damit verhält es sich wie mit dem königlichen Geblüt, das auch nur so lange für königlich befunden wird, wie der betreffenden Dynastie noch jemand gehorcht. Vor den Opportunitäten und Notwendigkeiten der Fortschreibung der jeweiligen Unrechtspraxis hat noch jede szientistische oder juridische Kodifizierung einschlägiger Ideologien in die Knie zu gehen und sich modifizieren zu lassen.
Um uns also, wenn wir vom Rassismus sprechen, nicht an die Willkür und Wahnflexibilität der Täterseite ketten zu lassen, schlagen wir vor, den Begriff nicht unter Übernahme der von Rassistinnen und Rassisten selbst benutzten, multifungibel dezisionsbegünstigenden Vokabeln als »Negatives Urteil über andere, fremde Menschenrassen, aus dem das entsprechende Verhalten abgeleitet wird«, sondern umgekehrt als »Praxis- und Hexisbündel von Verfolgung, Ausschließung, Unterdrückung, Ausbeutung, das über flexible ethnocodierte Unterscheidungen systematisiert, koordiniert und gerechtfertigt wird«. Ethnocodiert heißt, daß die Leute, die wir im Sinn haben, ihre Schweinereien offen weder nach, beispielsweise, sexuellen oder standesmäßigen Sortierverfahren einrichten, sondern von mehr oder weniger kohärenten Kollektiven ausgehen, in denen es nach diesen anderen (gleichwohl für die rassistische Phantasieproduktion mit herangezogenen) Sortiersystemen obendrein Binnendifferenzierungen gibt (die sich dann etwa von den im eigenen Kollektiv eingerichteten auf eine Weise unterscheiden, welche es wieder sinnvoll erscheinen läßt, »die da« von »uns« zu sondern, am besten mittels irgendeiner Art Gewalt).
Phänomene, die man als heterogen betrachten und erklären müßte, wollte man sie rein rollen- oder handlungstheoretisch beschreiben, wie etwa einerseits die Jagd auf Pakistanis durch britische Arbeiterkinder in den Straßen von Manchester und andererseits die unfairen terms of trade im Rohstoffhandel Englands mit Staaten der sogenannten Dritten Welt, lassen sich mit der von uns vorgeschlagenen Definition zu einem (an den Rändern natürlich ausgefransten und intern nicht selten aufschlußreich widersprüchlichen, aber eben doch) zusammenhängenden Anschauungsobjekt bündeln, ohne daß man dabei gezwungen wäre, dem Irrtum aufzusitzen, man habe mehr und Tieferes erschaut als eben eine spezifische Symbiose von Ideologien eines bestimmten Typs mit Praktiken einer damit vermittelbaren Sorte.
Rassistische Kollektive, sagt dieses Rassismusbild, sind also nicht Menschengruppen, die vor allem aus irgendwelchen Gründen an bestimmten psychologischen Attributen und Dispositionen leiden, die sie daran hindern, bestimmte Mitmenschen als Menschen wahrzunehmen (wogegen etwa Sensibilisierungswochenenden, Ausflüge in die Dritte Welt unter Leitung geschulter Einfühlungsfachleute u.ä. helfen mögen), nicht Fremdenfeinde, die aus eigener Wurzelobsession etwa den Nichtbesitz von eigenem Grund und Boden bei Migranten zum Signal nehmen, diese zu verabscheuen (wie noch Georg Simmel glaubte 41 ).
Wäre das eine geeignete Rassismusdefinition – wer kein Zuhause hat oder aussieht, als schätze er seins nicht, wird deshalb vom Fremdenfeind angefeindet –, so wäre völlig unverständlich, warum dieselben Rassisten denselben Leuten, wenn sie denn nun zuhause bleiben und sich redlich nähren, ihre Truppen auf den Hals schicken und das, wie Kipling, damit begründen, jene seien halb Kinder, halb Teufel, und man müsse sie erziehen (heute: Terrorbekämpfung, Menschenrechtsintervention). Das heißt, man will als Rassistin oder Rassist den als Opfer markierten
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