Der Implex
Rassisten, welche es allzugenau gar nicht wissen dürfen, da von ihrer Seite her ein der Angelegenheit nicht äußerliches, sondern vielmehr unveräußerlich zentrales Element von Unterbestimmtheit, definitorischer (also nicht nur: moralischer) Unsauberkeit mitspielt. Denn wie bei jeder Sorte von Machterwerb und Machterhalt, Produktion und Verteilung, Praxis und Hexis, die sich auf Unrecht, das heißt auf eine nicht vertragsförmig von beiden Parteien ausgehandelte, aber auch nicht von interesselosen Dritten (etwa unbestochenen Ärzten, die einer Entmündigung und Vormundschaft zustimmen) eingerichtete Autoritätsbeziehung gründen, gilt auch bei der rassistischen Souveränität derer, die dafür markierte Menschen rassistisch betrachten und behandeln, die Daumenregel von Carl Schmitt, souverän sei, wer über den Ausnahmezustand entscheide. »Wer Jude ist, bestimme ich«, soll der antisemitische Wiener Bürgermeister Carl Lueger gesagt (und Göring ihm bei passender Gelegenheit nachgesprochen) haben. Das ist gar kein bloßer zynischer Witz, sondern es erhellt blitzartig ein wesentliches Merkmal von ideologisch aufbereiteten Machtgefällen unter Handelnden und Unterworfenen oder mit Unterwerfungs- bis Vernichtungsabsicht Bedrängten ganz allgemein: Rechtssicherheit ist mit Unrecht prinzipiell unvereinbar; sobald ich aber mit sauberen Definitionen arbeite, stelle ich die der Zurichtungssouveränität hinderliche Rechtssicherheit her, ob ich will oder nicht. Weil die Schreckensherrschaft und die Verfolgungskampagne nicht zu jedem Zeitpunkt jedes ihr unterworfene oder von ihr bedrängte Subjekt mit gleicher Intensität schurigeln, kontrollieren und niederhalten kann, bleibt sie nur so lange stabil, wie kein Individuum aus dem unterworfenen oder bedrängten Kollektiv sicher ausschließen kann, Objekt von Gewaltmaßnahmen zu werden. Allgemeines Wohlverhalten, Passivität, Eignung zum Verfolgtwerden der Machtlosen und Verfolgten ist in solchen Ordnungen oder Kampagnen (die, wie wir gesehen haben, keineswegs zwingend immer Binnenstrukturen oder -ereignisse von und in Gemeinwesen sein müssen, sondern auch deren Außenbeziehungen regulieren können) das Resultat unzähliger individueller Hoffnungskalküle (vielleicht komme ich noch mal davon), das heißt einer Art von statistifiziertem Blitzableiterkalkül (vielleicht erwischt es die anderen, wenn ich stillhalte), und genau das ist der soziale Sinn (wenn schon nicht immer der bewußt von einer Anstifterkabale gesetzte Zweck) solchen Terrors. 40
Geht es mir als Imperialisten oder Kolonialisten darum, einen fremden Willen zu brechen, also den Algeriern die humanistische Irlandlösung aufzuoktroyieren oder den Südafrikanern eine betrügerische Handelsbilanz zu diktieren (statt die Algerier oder Südafrikaner etwa im vernünftigen, von Waffengleichheit geprägten Diskurs zu überreden), so muß ich meine Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Verfolgungspraxis zwar irgendwie begründen, weil sie nur als Kollektivanstrengung (nicht zuletzt einer Armee, die ich bei der Hand haben muß) funktionieren können und Kollektivanstrengungen ohne Kommunikation nicht unternommen werden; eine Kommunikation aber, die keine Begründungsbrücken zuläßt, das heißt ihre Sätze nicht miteinander verknüpft und keine Regeln kennt, wie man das tun könnte, kann sich keiner merken, koordinieren können wird man damit deshalb gar nichts. Rechtssicherheit aber, siehe oben, sollen meine Begründungen bitte auch nicht herstellen; was ich vorhabe, ist ja, andere mit Schrecken an die Wand des sozialen Raums zu drücken. Ich muß also einen Begründungszusammenhang finden, in den selber wiederum niemand eine vernünftige Kritik, im Gerichtsbild also (wegen des übertragenen Sinns von »Rechtssicherheit«) eine Verteidigungsstrategie einflechten kann, und ein solcher Begründungszusammenhang – in sich geschlossen genug, eine Kommandostruktur oder andere Koordinationsleistungen zu gestatten, aber auf keinen Fall vernünftig genug, daß eine Kritik sich daran festmachen ließe – kann nur ein Wahnsystem sein. Das tritt geschlossen auf und braucht keinen weiteren Tatsachenbezug als den der Motivlage; deshalb hat es beispielsweise auch noch niemals einen Rassisten im geringsten interessiert, daß die Varianz im menschlichen Erbgut oder wenigstens irgendeine Phänotypie-orientierte demographisch-ethnische Ordnung keineswegs auf die historisch beobachtbare Gewaltgeschichte abbildbar ist: Die
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