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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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das Entscheidende, vorher nicht Dagewesene daran darstellt?
    Im Gegenteil. Liest man uns richtig, werden die Unterschiede und Brüche, wird die Singularität gerade hervorgehoben, nicht zugekleistert. Das Singuläre war Auschwitz, die fabrikmäßige Vernichtung, die unzähligen operativen Einzelheiten ihrer Durchführung und (etwa militärischen) Begleitung, nicht der Verbaldreck von Streicher und Rosenberg, die Hetze oder die Tatsache, daß zur Vernichtung ein Kollektiv markiert wurde, auf das es früher schon andere Verfolgungen abgesehen hatten.
    Man leugnet die Sinnlosigkeit nicht, wenn man darauf besteht, daß auch das Sinnlose seine Beziehungen zum Sinnvollen unterhält, etwa die, daß Schrecken zu verbreiten für ein Regime durchaus einen Sinn haben kann, der effektivste Schrecken aber einer ist, der sich nicht kalkulieren läßt, und der schlechtestkalkulierbare nun einmal der vollendet sinnlose. Die Logik ist nicht weniger zwingend, wo sie entsetzlich ist wie bei Kafka; auch der Wahnsinnige, hat Wolfgang Pohrt in diesem Zusammenhang häufig wiederholt, schläft, atmet und ißt, das ist nicht wahnsinnig.
     
    Wenn man Erscheinungen wie den Nationalsozialismus in Begriffen denkt, wie wir sie hier bilden, verhält man sich wie jemand, der nicht an den Weihnachtsmann glaubt, aber zur Kenntnis nimmt, daß sich die Leute an Weihnachten Geschenke machen, gewisse Geschichten wiederholen, lesen, hören oder ihrer Aufführung beiwohnen, gewisse Lieder singen. Die Lieder gehören dazu; das, wovon sie handeln, gehört zu den (wahren oder unwahren) Möglichkeitsbedingungen des Festes in der Kommunikation (und im Selbstgespräch) der Beteiligten, weil es um etwas Soziales geht, aber dieses selbst ist ein Zusammenhang von Hexis und Praxis, nicht von Mustern, Strukturen, Ideen.
    Wir glauben nicht nur die Aussagen im Mythus des 20. Jahrhunderts nicht, wir glauben nicht einmal, daß das Entscheidende an ihnen ihr Aussagecharakter ist, ihre propositionale Semantik. Daß sie so was überhaupt haben, ist die notwendige Bedingung ihres Gedruckt-, Gelesen- und Geglaubtwerdens, nicht die hinreichende.
     
    Der erste Vorteil, der uns an unserer Vorgehensweise einleuchtet, ist ein praktischer: Etwas wie den Rassismus bekämpfen heißt, wenn man unserem Wortgebraucht folgt, die Gelegenheiten und Mittel zerschlagen, in rassistischer Koordination und Orientierung zu verfolgen, zu unterdrücken, auszubeuten, auszugrenzen. Was der Rassist auf dem Klo denkt, ist uns egal. Ans Verhalten der Leute kommt man, wenn man nicht Telepath ist, einfach leichter ran als an ihre mental erlebten Verhaltensdispositionen.
    Der zweite Vorteil ist ein theoretischer: Wir müssen den Rassisten nicht glauben, ihr Zeug sei logisch, sondern können erkennen: Es ist historisch und daher nur insofern logisch, als Geschichte je nach Interessen und Zweckbestimmungen derer, die sie (bekanntlich »nicht aus freien Stücken«) machen, diesen adäquat oder inadäquat sein kann.
    »Historisch«: Das Adjektiv packt die Verfolger anders an als etwa der Hinweis, ihre Verfolgungsbegründungen seien »sozial konstruiert«; die Erkenntnis, daß Rassenpolitik Sache des Gemeinwesens ist, hätte Hitler nicht beunruhigt, daß sie aber alles andere als eine übergeschichtliche anthropologische Konstante ausdrückt, sondern sehr konkrete Interessen- und Zweckbestimmungslagen geschichtlich gewordener und vergänglicher (also auch: abschaffbarer) Konstellationen im Gemeinwesen, hätte er mit aller Vehemenz bestritten.
     
IV.
Linker Internationalismus: Eine Tragikomödie
    Laurent Casanova steht von uns aus gesehen also auf dem Kopf: Er macht die Einstellung der Arbeiterklasse als mildernden Umstand für die verfehlte Politik seiner Partei geltend; wir werfen dagegen seiner Partei vor, daß sie der Arbeiterklasse jene Einstellung nicht saurer macht. Legt man die Elle des Historismus an, die wir einfordern, so ist es mit dem mildernden Umstand Essig: Gerade Kommunisten, vorausgesetzt, sie nehmen ihre Geschichte ernst, hätten wissen müssen, daß das Problem virulent war – und alles andere als neu.
    Schon Marx und Engels hatten in den mittleren bis späten fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts damit zu kämpfen, daß das englische Proletariat aufgrund seiner quantitativen und qualitativen Präsenz in den urbanen Zentren des Vereinigten Königreichs sowie seines politischen Bewußtseins- und Organisationsstandes (Chartistenbewegung, »Combinations« im Sinne Barbaulds etc.)

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