Der Implex
einst zu sich genommen haben, oder aber die mäßig interessierte Umgebung belehren, das solle man nicht so wichtig nehmen, erstens handele es sich um Popkultur und zweitens sei die Geschichte ja in den frühen dreißiger Jahren in Belgien erschienen, aus welchem Zeitumstand sich der Ton, die Stumpfheit und Blödheit des Zitierten ganz zwanglos erklären lasse – daß einem mühelos Leserinnen und Leser einfallen, die 1930 am Leben waren, Witz besaßen und über den Dreck nicht hätten lachen können, gilt nicht (Karl Kraus gilt nie; er war kein Engelchen). Was im Engelchendiskurs hingegen stets gilt, sind die Ausreden und Besserwissereien der Engelchen; egal, wie alt sie sind und wozu sie sich jeweils äußern (unter Engelchengefahr steht man sofort, wenn man ein Buch wie dieses schreibt oder liest; dagegen kann man fast nichts unternehmen, außer sich nicht auch noch dafür begeistern oder es anstreben, sondern als Gefahr betrachten und jedenfalls die einzige Utopie, die diese Menschensorte kennt, nämlich »Alle werden wie wir«, schlicht verweigern. Wenn schon Transformationsutopien, dann solche mit ein bißchen mehr Potential zur Veränderung des Gegebenen, wie etwa die schöne »Welt, in der alle Menschen Mädchen wären« der Berliner Band Die Ärzte oder »Laßt uns alle Juden sein« von Oliver Polak).
Den Proleten steht solche Zungenfertigkeit, die man seit den einschlägigen Beobachtungen Victor Klemperers und Untersuchungen Hannah Arendts als intellektuellentypisch verachten gelernt hat, nicht zu Gebote; sie behelfen sich mit eher ordinärem Rassismus. Rassistisch, kolonialistisch, imperialistisch – wer mag die Auskunft erteilt haben, mit der dieses Kapitel beginnt? Es hätte ein Monetarist und Freihandelsdemagoge sein können, der Gewerkschaftsleuten Arbeitsmarktprotektionismus vorwerfen will, um die ihm genehme Sorte Einwanderung – die, mithilfe derer man Löhne drückt – durchzusetzen; auch eine katholische Dritte-Welt-Philanthropin mit Groll gegen alles, was sie noch vom Bolschewismus weiß; ein postkolonialer Foucaultianer auf der Suche nach Herrschaftsformen, die quer zum perhorreszierten Histomat stehen; vielleicht eine Wertkritikerin, die sich einen netten Abend am Computer damit macht, dem von ihresgleichen dreimal täglich abzuwatschenden »traditionellen Arbeiterbewegungsmarxismus« mal wieder sein Verlassen des systemsprengenden, transformatorischen Programms der Marxschen Fundamentalkritik warenförmiger Vergesellschaftung vorzurechnen.
Hätte man auf irgend etwas davon getippt, man hätte falsch geraten.
Der Zeuge ist ein französischer Berufspolitiker (sogar Berufsrevolutionär) mit dem klangvollen Namen Laurent Casanova.
Dieser Mann, der in den Diensten der Kommunistischen Partei Frankreichs stand, war während der Zeit des Algerienkrieges mit der unangenehmen Aufgabe betraut worden, den schmählichen Verrat, den seine Partei an den in einen verzweifelten bis heroischen Dekolonisationskampf verstrickten Algeriern geübt hatte, vor jungen Radikalen zu vertreten. Die französische KP hatte sich eben für eine »Union zwischen Frankreich und Algerien« ausgesprochen, den berühmten Mittelweg also, der in Gefahr und höchster Not bekanntlich den Tod bringt (in diesem Fall den der Aufständischen, nicht selten durch Folter), eine urbürgerliche, bestenfalls erzreformistische, jedenfalls aber verlogene Lösung nach Art des großbritischen Umgangs mit Nordirland. Casanovas Kommunisten können dabei nicht das allerreinste Gewissen gehabt haben und faselten nolens volens eine Zeitlang viel vom französischen Humanismus und Universalismus, die freilich bei den Aufklärern und während der bürgerlichen Revolution noch entschieden weniger nach einer frankophonen Übersetzung der white man’s burden geklungen hatten – für die Jakobiner war die Benachteiligung eines Menschen nach Maßgabe seiner ethnischen oder anders blutmäßigen Herkunft noch eine Beleidigung der menschlichen Vernunft gewesen; jetzt, in der Algerienfrage, überboten sich die erklärten proproletarischen Nachfahren Robespierres in Erklärungen, wonach man die Nordafrikaner nicht den in ihrer Heimat leider üblichen barbarischen Bräuchen, wilden Stämmen und atavistischen Formen der Vergesellschaftung überlassen dürfe, sondern in der Pflicht stand, ihnen das angebliche autochthone Mittelalter mit Waffengewalt auszutreiben.
Wären die natürlichen Freßfeinde der KP, die Trotzkisten, damals alert und vif genug
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