Der Indianerlord
noch im Zwiespalt, und fragte, warum er das tun sollte.
»In seiner schottischen Heimat ist David Douglas ein Häuptling, ein sogenannter Lord und hoch angesehen, so wie zuvor sein Vater.«
»Aber wir sind nicht in Schottland. Hier bedrängen uns die Amerikaner.«
Lächelnd nickte der Großvater. »Als Krieger kam er zu uns. Vielleicht fließt Nomadenblut in seinen Adern. Nachdem er Berichte über die Prärie, grenzenlose Landschaften und fremde Völker gelesen hatte, reiste er hierher, um dies alles zu erforschen. Wir nahmen ihn gefangen. Doch wir töteten ihn nicht. Obwohl er dem Tod ins Auge- blickte, wollte er uns nicht hassen, sondern kennenlernen. Er strebte nach Wissen und Weisheit, so wie wir. Und er bemühte sich, unsere Religion und Lebensart zu verstehen.«
»Dann verließ er uns.«
»Sein Vater und sein Bruder starben, seine weiße Frau war sehr krank. Wenn er auch beide Frauen liebte – vor erst musste er für jene sorgen, die sich ihm zuerst anvertraut hatte. In seinem Land hätte er ein angenehmes Leben führen können. Trotzdem kehrte er hierher zurück. Seine Heimat liegt woanders, sein Herz gehört uns. Am Anfang war er unser Gefangener, dann unser Verwandter und Freund.« Der Großvater holte tief Atem. »Den Strom der Weißen, die in unser Gebiet ziehen, können wir nicht aufhalten, wenn wir auch noch so tapfer kämpfen und die Prärie mit unserem Blut tränken. Deshalb müssen sich einige Indianer mit den Weißen anfreunden. Manche müssen kämpfen, manche müssen sterben, manche müssen überleben. Sonst hätte unser Volk umsonst gefochten und geblutet. Verstehst du das?«
»Nur eins verstehe ich - dass ich kämpfen sollte.«
»Oft finden die schwierigsten Schlachten in unseren Seelen statt. Sag mir doch, Thunder Hawk, was muss ein Sioux-Krieger tun, wenn er zwei Ponys besitzt und sein Nachbar keines?«
Thunder Hawk runzelte die Stirn. »Natürlich muss er dem Nachbarn sein zweites Pony geben. Stets soll einer für den anderen sorgen und sich großzügig zeigen. Das haben wir von Geburt an gelernt.«
»Dann musst auch du diesem Mann, der dein Vater ist, großzügig begegnen. Du wirst immer ein Sioux bleiben und ebenso ein Weißer. Sei nicht selbstsüchtig. Liebe deine Mutter, dein Volk - und deinen weißen Vater.«
Diese Worte beeinflussten Hawk- ebenso nachhaltig wie seine Vision und der Rat des heiligen Mannes. Aber was -ihn letzten Endes veranlasste, Lord David Douglas zu begleiten, war Kathryns Krankheit. Sie magerte ab, konnte nicht mehr nähen, weder Zelte aus Büffelhäuten noch Kleider. Und sie vertrug den Rauch nicht, der im Winter den Wigwam erfüllte. Wenn die Weißen, die Crow oder andere Feinde das Dorf angegriffen hätten, wäre sie zu schwach gewesen, um zu fliehen. Deshalb brauchte sie die Fürsorge, die David ihr bot.
Und obwohl Hawk ihm grollte, erkannte er, wie innig der weiße Mann die Mutter seines Sohnes liebte.
Und so akzeptierte er das Blut der Weißen in seinen eigenen Adern. Er zog in ein großes Haus mit vielen Räumen, lernte auf Stühlen zu sitzen statt auf dem Boden und begegnete seinem weißen Bruder, der David hieß, wie der Vater. Da er zum künftigen Lord Douglas erzogen wurde, ging er in England zur Schule und verbrachte nur einen Teil seiner Zeit in dem schönen Haus, das der schottische Aristokrat nahe den Black Hills erbaut hatte.
So sehr Hawk sich auch bemühte, den älteren Bruder zu hassen - er konnte es nicht. Viel zu sehr glich der Jüngere David dem älteren, interessierte sich brennend für die Indianerkultur und hörte begierig zu, wenn Hawk von seinem früheren Leben bei den Sioux erzählte. Hawk besuchte regelmäßig seine Verwandten, und manchmal ritt David mit ihm. Im Dorf gewann er sofort alle Herzen, denn er besaß ein Lächeln, das den bittersten Groll zu schmelzen vermochte.
Während sie heranwuchsen, kamen sie einander immer näher. Kurz nach Hawks siebzehntem Geburtstag starb Kathryn. Der Bruder trauerte mit ihm und kniete die ganze Nacht neben ihrem Sarg. Ausnahmsweise war Hawk dankbar für sein weißes Erbe, das ihm erlaubte, Tränen zu vergießen. Und der Bruder weinte mit ihm.
In den nächsten Jahren diskutierten sie über den amerikanischen Freiheitskrieg und den Krieg von 1812, über die amerikanische und britische Politik. David studierte in Oxford, und Hawk wurde nach West Point geschickt, wo man nur mit größter Mühe Aufnahme fand. Als Sohn eines britischen Aristokraten hatte Lord David Douglas in der US-Army
Weitere Kostenlose Bücher