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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schlenderte er die Stufen der Veranda und die Auffahrt hinab. Am Tor drehte er sich noch einmal um, um ihr zuzuwinken. Doch Dona Amba hatte die Veranda bereits verlassen.
    Erst auf der Straße wurde Miguel bewusst, dass er weder ein Pferd noch eine Mitfahrgelegenheit hatte. Er musste sich wohl oder übel zu Fuß auf den Weg ins Dorf machen. Aber er war ausgesprochen guter Dinge. Er fand, dass er sich wacker geschlagen hatte. Er hatte seiner Angebeteten gegenübergesessen, hatte ihre Stimme gehört und ihre grazilen Hände bewundert. Er hatte den Schlüssel deponiert. Und er hatte, mehr aus Versehen, eine Verlobte erfunden, was nie schaden konnte. Was rar ist, weckt Begierden, und das traf auf Menschen genauso wie auf Dinge zu. Beschwingt wanderte er weiter, genoss den Tag und die gute Waldluft und rief sich jede einzelne Geste, jede Tonlage und jedes Wort von Dona Amba wieder und wieder in Erinnerung. Als er das Dorf erreichte, hatte er von dem ungewohnten langen Gehen in den Reitstiefeln Blasen an den Füßen. Aber jede einzelne Blessur war es hundertmal wert gewesen.
     
    Amba hatte sich indes ins Haus geflüchtet. Unter ihrem Schleier war ihr der Schweiß ausgebrochen, als Ribeiro Cruz plötzlich von Senhor Rui angefangen hatte. Wie viel wusste der Kerl? Was hatte er wirklich hier zu suchen gehabt? Denn dass er mit ihr Geschäfte tätigen wollte, das glaubte sie keine Sekunde lang. Und wenn er eine Verlobte hatte, dann würde er ihr, Amba, ja wohl auch kaum den Hof machen.
    »Er ist zu hübsch«, stellte Nayana fest, die sich zu Amba gesellt hatte. »So gutaussehende Männer müssen andere versteckte Makel haben. Schlag ihn dir aus dem Kopf.«
    »Was fällt dir ein?«, herrschte Amba sie an. »Unterstellst du mir, ich wolle mit ihm anbändeln?«
    »Ich erkenne es an deinem Blick. Er gefällt dir.«
    »Gar nichts erkennst du. Du siehst ja nicht einmal das Muster am Saum meines Saris, so blind bist du geworden.«
    Nayana verspürte keinerlei Lust, ihrem Schützling zu erklären, dass sie jedes Staubkorn am Saum des Saris erkennen konnte und nur auf kürzere Distanzen nicht mehr scharf sah. Wenn Amba in dieser Stimmung war, hatte es gar keinen Zweck, mit ihr zu diskutieren. Dabei hätte sie ihr so viel sagen können. Dass der junge Herr zu Fuß hierhergekommen war, zum Beispiel. Oder dass der Leberfleck gleich über der Nasenwurzel bei einem Portugiesen ganz sicher nicht den bösen Blick abwendete, sondern ihn wahrscheinlich anzog. Oder dass die heutige Sternenkonstellation Unheil versprach. All das behielt Nayana für sich. Es würde sich schon noch eine Gelegenheit ergeben, um Amba vor diesem Senhor Miguel zu warnen.
     
    Am Nachmittag frischte der Wind auf. Er wehte das nach der Trockenzeit schon braune Laub von den Bäumen. Dakshesh, der sehr stolz auf den gepflegten Garten war, mochte es gar nicht leiden, wenn trockene Blätter herumwirbelten. Da ihn seit ein paar Tagen ein Hexenschuss plagte, der ihn allerdings nicht davon abgehalten hatte, den Mädchen beim Haarewaschen zuzusehen, rief er nach Makarand. »Komm her, du nichtsnutziger Bengel, und hilf einem alten Mann. Und keine Widerrede: Wenn du nicht bis zum Sonnenuntergang dieses Laub zusammengefegt hast, werde ich ein ernstes Wörtchen mit Ambadevi reden müssen. Sie ahnt ja nicht, was für ein Früchtchen du bist …«
    Makarand gehorchte widerwillig. Immerhin bot ihm diese fürchterliche Arbeit – und das an seinem freien Tag! – eine Möglichkeit, vor der Veranda herumzuwuseln und vielleicht Anuprabha singen zu hören. Mit ein wenig Glück würde er sie sogar sehen. Und sie ihn. Bestimmt würde es ihr gefallen, was er für ein tüchtiger Mann war und was für ein barmherziger obendrein, dass er dem alten Dakshesh bei der schweren Arbeit half. Viel sorgfältiger als nötig fegte er also unterhalb der Verandabrüstung das Laub zusammen. Als er den Haufen Blätter aufheben und in einem Korb zur Feuerstelle tragen wollte, fiel ihm ein Glitzern auf. Er wühlte in dem Laub, und tatsächlich: Da war ein kleiner goldener Schlüssel! Er betrachtete ihn genauer. Der Schlüssel sah aus, als gehörte er zu einer Schmuckschatulle oder einem ähnlichen Gegenstand mit kleinem Schloss. Es wäre das Beste, er lieferte ihn jetzt gleich bei Ambadevi ab. Oder sollte er lieber noch ein wenig warten? Er könnte seinen Fund ja melden, sobald jemand den Verlust eines kleinen Schlüssels beklagte und man sie alle aufforderte, danach Ausschau zu halten. Ja, so würde er es

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