Der indigoblaue Schleier
machen. Das würde ihm später eine weitere Gelegenheit bieten, Anuprabha näher zu sein. Er ließ den Schlüssel in die Tasche seines
dhoti
gleiten und machte sich wieder daran, geräuschvoll seiner Arbeit nachzugehen. Es sollte bitte schön jeder mitbekommen, was für ein gutes Herz er hatte und wie hart ihn der undankbare alte Gärtner manchmal behandelte.
In den darauffolgenden Tagen trug Makarand seinen Fund immer bei sich. Doch niemand schien den Schlüssel zu vermissen. Er wartete eine weitere Woche ab. Als sich noch immer niemand gemeldet hatte, sah er keinen Sinn darin, noch länger zu warten. Die Person, die den Schlüssel verloren hatte, suchte wahrscheinlich gar nicht mehr danach und hatte das Schloss, zu dem er gehörte, bestimmt schon aufgebrochen. Als er am frühen Abend aus dem Laden heimkehrte, in dem er seine Lehre machte, und Anuprabha begegnete, beschloss er daher spontan, sie mit einem hübschen Geschenk zu überraschen.
Er griff in die Falten seines
dhoti
und fischte nach dem Schlüssel. Anuprabha schaute ihn an, als vollzöge er irgendeine unaussprechliche Handlung. »Brauchst du unbedingt Zuschauer, wenn du dich kratzt?«, fragte sie ihn und drehte sich beleidigt um.
»Warte! Ich habe ein Geschenk für dich.«
Anuprabha hielt inne. Sie zog eine Augenbraue spöttisch nach oben, und allein dafür liebte Makarand sie. Ihre Brauen waren dicht und schwarz und wunderschön geschwungen. Das Kunststück, nur eine davon zu heben, beherrschte sie wie keine Zweite, und jedes Mal, wenn sie das tat, war Makarand hingerissen.
»Diesmal ist es etwas ganz Besonderes«, lockte er sie.
»Ah.« In gespielter Ungeduld wippte sie mit dem Fuß.
»Ja, sieh nur.« Er hatte den Schlüssel endlich zutage gefördert und hielt ihn ihr nun in der geöffneten Handfläche hin. Seine Hände schwitzten, wie er erst jetzt bemerkte. Schnell nahm er den kleinen goldenen Gegenstand mit zwei Fingern und ließ ihn vor Anuprabhas Nase hin und her baumeln.
Sie sah gelangweilt zur Seite, schnappte dann aber urplötzlich nach dem Schlüssel. Als sie ihn in der Hand hielt, betrachtete sie ihn genauer. »Er ist eigentlich ganz hübsch«, gab sie endlich zu. »Zu welchem Schloss gehört er?«
»Das, meine liebe Anuprabha«, sagte Makarand in geheimniskrämerischem Ton, »erfährst du erst am Tag unserer Verlobung.«
»Pah! So weit wird es nie kommen«, blaffte sie und lief davon.
Immerhin, dachte Makarand, hatte sie den Schlüssel behalten. Ein gutes Zeichen. Ein sehr gutes Zeichen. Beseelt von seinem Erfolg, schlurfte er zum Feuer. Heute würde er einmal dem alten Dakshesh eine schöne Geschichte erzählen.
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29
D ie beiden Männer, die eine Woche zuvor in der Hauptstadt eingetroffen waren, litten. Diesem Land, das die Portugiesen den Indern abgenommen hatten, war von den Eroberern schreckliche Gewalt angetan worden. Überall hatten die Europäer ihre Kirchen errichtet, protzige, furchteinflößende Gebäude bar jeder Anmut, die den Portugiesen selbst anscheinend ebenfalls nicht ganz geheuer waren, denn sonst würden sie ja beim Betreten ihre Schuhe ablegen. Im Innern der Gotteshäuser wie auch in fast allen öffentlichen Gebäuden und sogar Privathäusern hatten diese Barbaren Statuen ihres Erlösers aufgestellt oder an der Wand befestigt. Dabei handelte es sich um stilisierte Galgen, mal mit, mal ohne den Gehängten. Es war ekelerregend, überall die Kreuze zu sehen. Was war das nur für eine Religion, die ein Symbol des Todes anbetete und die in einem aufgeknüpften Verbrecher ihren Heiland sah?
Schlimmer noch fanden die beiden Neuankömmlinge allerdings die Beschwernisse, mit denen sie sich im Alltag herumschlagen mussten. Sie waren der Sprache nicht mächtig und fühlten sich allenthalben hintergangen, belogen und ausgetrickst. Ihr erster Übersetzer war, nachdem sie ihn für ihre eigenen Mängel und Ängste hatten büßen lassen, einfach fortgegangen. Der, den sie jetzt hatten, war noch aufsässiger, doch ihnen blieb kaum etwas anderes übrig, als sich mit ihm zu arrangieren, sonst passierte ihnen vielleicht noch einmal ein solches Desaster, wie es ihnen nach dem Verschwinden des ersten widerfahren war. Da nämlich hatten sie sich in einer Schänke, in der viele Inder verkehrten und aus der appetitliche Düfte herauswehten, etwas zu essen bestellt, das gar nicht mal übel geschmeckt hatte – und sich später als Rindfleisch entpuppte. Rind! Wie hatte man ihnen das nur antun können? Wussten denn hier nicht
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