Der indigoblaue Schleier
auf diese Weise mit zu sich nach Hause? Und um sich vor üblen Dünsten zu schützen, benutzten sie nicht einmal Räucherkegel oder Duftstäbchen, so dass es auch in ihren Behausungen stank.
Als ihr Gastgeber ihnen einen Kaffee anbot, hatte keiner der beiden Brüder die Courage, abzulehnen. Die Vorstellung, aus einer wahrscheinlich höchst unreinen Küche eine Erfrischung gereicht zu bekommen, widerte sie an. Aber sie durften ihren Abscheu nicht zeigen. Also nahmen sie sich zusammen und akzeptierten dankend das Getränk, von dem sie nie zuvor gehört hatten. Als es dann vor ihnen stand, dunkelbraun und dampfend und einen abscheulichen Geruch verbreitend, blieb ihnen nichts anderes übrig, als davon zu kosten. Sie verzogen keine Miene, aber keiner der beiden trank mehr als diesen ersten kleinen Schluck.
Ihr Gegenüber war ihnen als ein Mann von großer Diskretion und von überragendem Talent angepriesen worden, wenn es um das Auffinden von Menschen ging, die nicht gefunden werden wollten oder etwas zu verbergen hatten. Seine Dienste in Anspruch zu nehmen würde nicht ganz billig sein, aber das war es den Brüdern wert. Also schilderten sie ihm wortreich ihren Fall. Weil den beiden Besuchern der Name des Mannes nicht über die Lippen kommen wollte – wie ja überhaupt alle portugiesischen Namen ihnen unaussprechlich erschienen –, nannten sie ihn die ganze Zeit »Euer Hochwohlgeboren«, was ihm zu gefallen schien. Aber wer wusste schon, wie der Dolmetscher ihre Worte verdrehte?
»Lasst mich zusammenfassen: Ihr sucht nach einer Dame, die vor fünf Jahren geflohen ist und dabei einen Großteil ihrer Mitgift mitgenommen hat. Ihr beschreibt sie als eine Frau von großer Anmut, deren hervorstechendstes Merkmal ihre grünen Augen sind.«
Die Brüder bestätigten dies mit energischem Kopfrollen.
»Das Problem, meine Herren, ist, dass für uns alle Inder gleich aussehen«, sagte der Portugiese. Diesmal nahm der Dolmetscher sich die Freiheit heraus, nicht ganz korrekt zu übersetzen, bevor es zu einem Eklat kam: »Das Problem, meine hochverehrten Herren, ist, dass wir angesichts der strahlenden und weltweit gerühmten Schönheit der indischen Damen die Gesuchte nicht allein aufgrund Eurer Worte, sie sei von ›großer Anmut‹, finden können. Ihr müsstet sie schon etwas genauer beschreiben.«
»Sie ist mittlerweile 27 Jahre alt. Sie ist von zierlichem Wuchs, Euch reicht sie vielleicht bis zum Kinn. Sie hat eine helle Haut und diese für Südindien sehr seltene Augenfarbe. Ihre zweite Zehe ist länger als der große Zeh, darüber hinaus hat sie weder Muttermale noch Narben, die eine eindeutige Identifizierung möglich machen. Ihre Muttersprache ist Urdu, doch sie spricht Marathi ohne Akzent und dürfte dank ihrer Sprachbegabung auch die hiesigen Dialekte, vielleicht sogar das Portugiesische beherrschen.« Der Übersetzer hatte sich nun erlaubt, die verschnörkelte Rede seiner Auftraggeber ein wenig zu straffen. So bekam jede Partei das zu hören, was sie zu hören wünschte. Er bezweifelte, dass der Portugiese etwas mit den poetischen Bildern anfangen konnte, die die beiden Inder benutzten, ja, bestimmt reizten sie ihn sogar zum Lachen.
Dass es sich dennoch so verhielt, obwohl die Beschreibung knapp und präzise gewesen war, konnte er nicht ahnen.
Der Portugiese starrte seine beiden Besucher ungläubig an und unterdrückte einen aufkommenden Lachkrampf. Eine zweite Zehe, die länger war als die erste – war das zu fassen? Europäische Damen zeigten ihre Füße nicht in der Öffentlichkeit, mithin war diese Beschreibung überaus anstößig. Genauso gut hätten sie die Brustwarzen der Gesuchten beschreiben können. Er nahm einen Schluck Kaffee und griff mit der anderen Hand nach einem Teller mit Keksen, den der Hausdiener zwischenzeitlich gebracht hatte.
Chandra und Pradeep waren entsetzt. Der Mann benutzte seine linke Hand, um das Gebäck zu nehmen und zum Mund zu führen. Beherrschte er denn nicht einmal die elementarsten Benimmregeln? Jedes indische Kleinkind bekam beigebracht, dass die linke Hand unrein war und daher nicht zum Essen gebraucht werden durfte. Es handelte sich schließlich um die Hand, mit der man sich nach dem Stuhlgang reinigte.
»Verratet mir eins«, sagte der schlecht erzogene Mensch nun. »Ihr habt ein sehr hohes Kopfgeld auf diese Frau ausgesetzt. Ich nehme also an, dass sie im Besitz eines Vermögens ist?«
Die Brüder schauten einander an. Wie sollten sie auf die Unhöflichkeit einer
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