Der indigoblaue Schleier
er hat ein großes Muttermal am Oberschenkel.« Nach dieser Beichte, die sie all ihren Mut gekostet hatte, weil man über solche Dinge nicht sprach, brach sie wieder in Tränen aus. »Helft mir, Senhor Miguel! Ich schwöre, ich werde nie wieder ungehorsam sein, nie wieder undankbar, nie wieder aufsässig.«
Nein, sie würde nie wieder dieselbe sein, dachte Miguel traurig. Was hatte dieses Tier nur getan?! Denn es gab nur einen Mann in der Kolonie, den er, während einer Dusche an Deck einer Galeone, nackt gesehen hatte – und der ein auffälliges Muttermal am linken Oberschenkel hatte. Carlos Alberto Sant’Ana.
In dem Haus, in dem Carlos Alberto sein schäbiges Zimmer bewohnt hatte, hieß es, der Senhor Sant’Ana sei ausgezogen und residiere nun in einer vornehmen Stadtvilla. Miguel hatte bewusst gewartet, um ihm einen Besuch abzustatten. Unmittelbar nach den Enthüllungen des Mädchens hatte ernsthaft die Gefahr bestanden, dass er seinen einstigen Freund erwürgen würde. Er wollte ihm jedoch mit klarem Verstand gegenübertreten. Am Tag nach Holi ging er frühmorgens zu der angegebenen Adresse. So, wie er Carlos Alberto kannte, läge der dann noch im Bett.
Genauso war es auch.
»Steh auf, ich muss mit dir reden«, sagte Miguel und schüttelte Carlos Alberto an der Schulter. Der Diener stand hilflos vor dem Raum und bibberte angesichts der Strafe, die ihn erwartete, weil er den ungebetenen Besuch in das Schlafgemach hatte eindringen lassen.
»Was du mir zu sagen hast, kannst du mir in meinem Büro sagen. Ich bin dort am späten Vormittag. Es befindet sich …«
»Ich weiß, wo es sich befindet. Ich dachte nur, es sei dir lieber, wenn wir keine Zeugen haben, bei dem delikaten Thema, das wir besprechen müssen.«
»Wir müssen nichts besprechen.«
»Und ich dachte, du wärst hinter Dona Amba her …?«
Schlagartig legte Carlos Alberto die schläfrige Miene ab und sah gespannt auf. »Wie kommst du darauf?«
»Ich bitte dich. Die ganze Stadt lacht über dich, weil du statt ihrer ein unschuldiges Dienstmädchen hast verhaften lassen.«
»So? Du weißt, dass mich nichts weniger kratzen könnte, als was die Leute über mich sagen.«
Miguel wusste, dass, ganz im Gegenteil, Carlos Alberto sehr viel auf die Meinung anderer Leute gab. Und er wusste, dass er ihn mit seiner – rein erfundenen – Behauptung getroffen hatte.
»Nun, dann gehe ich am besten wieder. Wenn du es dir anders überlegt hast und zu einer Unterredung bereit bist, weißt du ja, wo ich zu finden bin.« Miguel drehte sich um und stieß die angelehnte Tür so ruckartig auf, dass der lauschende Diener eine dicke Beule davontragen würde.
»Bleib!«, forderte Carlos Alberto ihn auf. »Und du«, rief er dem Diener zu, »mach, dass du fortkommst. Geh und hol mir von der dicken Obsthändlerin an der Ecke ein paar frische Mangos. Wenn ich dich noch einmal beim Lauschen erwische, schlage ich dich tot, das verspreche ich dir.« Der Diener war fort, bevor sein Herr den Satz beendet hatte.
»So, dann sag endlich, was du zu sagen hast.« Carlos Alberto schwang sich aus dem Bett und urinierte laut plätschernd in den Nachttopf, als sei Miguel gar nicht anwesend.
»An deiner Gastfreundschaft hat sich wenig geändert, wie ich sehe«, sagte Miguel. »Du magst dir eine vornehmere Wohnung erschlichen haben, aber deine Respektsbezeugungen Besuchern gegenüber sind noch genauso … armselig wie eh und je.«
»Wenn es das ist, was du zu sagen hattest, ist unser Gespräch hiermit beendet. Also komm endlich zur Sache.«
»Du hast ein Dienstmädchen verhaften lassen, dessen einziges Vergehen darin bestand, einen blauen Schleier zu tragen.«
»Und? Was kümmert dich das?«
»Sie ist in meinem Haushalt beschäftigt.«
»Ach? Und jetzt willst du die holde Maid aus meinen Klauen befreien.«
»So ist es.«
»Dein heldenhafter Einsatz für die Armen, Kranken und Schwachen ist ekelhaft. Such dir doch ein neues Dienstmädchen, dieses hier ist ja doch zu nichts mehr zu gebrauchen.«
»Was soll das heißen?«
»Sie war noch Jungfrau, wusstest du das? Ach, was frage ich, natürlich wusstest du es. Sicher hattest du dich schon darauf gefreut, sie zu nehmen, es ihr einmal tüchtig von hinten …« Er hatte die harte Ohrfeige, die Miguel ihm gab, nicht vorhergesehen.
»Du bist ein Widerling.«
Carlos Alberto grinste sein Gegenüber an. »Ja, mag sein, aber es hat sich gelohnt. Es hat wirklich Spaß gemacht. Sie hat sich gewehrt, weißt du, zwei meiner
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