Der indigoblaue Schleier
Verlegenheit, oder er erzürnte sie, weil er ihr ein Verbrechen unterstellte, das die Inquisition nun ahndete.
»Ihr seid zu lesen wie ein Buch, lieber Senhor Miguel. Ihr wagt es nicht, die Frage zu stellen, die auf der Hand liegt. Ich werde sie Euch beantworten: Die Kirche entdeckt auffallend viele Ketzer unter den wohlhabenden Indern …«
»Ihr glaubt, man habe es auf Euer Vermögen abgesehen?«, vergewisserte Miguel sich.
»Ja.« Amba wusste, dass sie ein großes Risiko einging, indem sie die Kirche so offen beschuldigte, nicht auf der Jagd nach Heiden, sondern auf der nach Geld zu sein. Sie wusste nicht, wie gläubig ihr Gegenüber war, wie er zu seiner Kirche stand und ob er deren Methoden nicht sogar guthieß. Allerdings erschien ihr Miguel Ribeiro Cruz wie ein vernünftig denkender Mensch, und sie bezweifelte, dass er mit diesen schrecklichen Heuchlern sympathisierte. »Außer der Sünde, einigermaßen wohlsituiert zu sein – allerdings nicht wirklich vermögend –, habe ich, haben wir, mein Gemahl und ich, uns nichts zuschulden kommen lassen.«
»Und wie stellt Ihr Euch die Rettung des Mädchens vor? Ich habe mit den Machenschaften der Kirche herzlich wenig zu schaffen und wüsste nicht, wie ich eingreifen könnte. Im Übrigen ist es ja nicht ungefährlich, sich mit diesen Leuten anzulegen.«
»Ich hätte Euch für mutiger gehalten, Senhor Miguel.«
Er sagte dazu nichts. Es hätte nichts mit mangelndem Mut, sondern mit mangelnder Intelligenz zu tun, wenn er wegen einer ihm unbekannten Dienstmagd, die noch dazu beschränkt zu sein schien, sein Leben aufs Spiel setzte.
»Ihr seid meiner Frage ausgewichen: Wie soll ich Eurer Meinung nach vorgehen, um dieses Mädchen aus dem Kerker zu befreien? Ich hoffe, Euch schwebt nicht irgendein hochdramatisches Spektakel vor, bei dem ich mich mit gezogenem Säbel und wehendem Umhang gegen zehn Angreifer auf einmal zur Wehr setzen muss?«
Amba lächelte bei der Vorstellung. Er gäbe einen sehr schmucken Helden ab. »Aber nein«, sagte sie. »Ich habe mir Folgendes überlegt: Ihr, ein guter katholischer Portugiese aus bestem Haus, sucht den zuständigen Beamten auf und bittet ihn höflich, Euer Dienstmädchen wieder auf freien Fuß zu setzen. Ihr werdet ihm erklären, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse, da Eure Magd, Anuprabha ist ihr Name, keiner Menschenseele je etwas zuleide getan habe. Diese Behauptungen stützt Ihr hiermit, das hat immer schon die höchste Beweiskraft besessen.«
Sie schob einen Beutel über den Tisch, der prall mit Münzen gefüllt zu sein schien.
»Und warum sollte ich das tun wollen?« Miguel fand ihr Anliegen etwas befremdlich. Selbst wenn er Dona Amba vielleicht ein wenig zu offensichtlich den Hof machte – sie konnte doch nicht ernstlich glauben, er sei so verblendet, dass er sich ihr zuliebe auf eine so gefährliche Unternehmung einließ.
»Weil«, und nun schob sie einen weiteren Geldbeutel über den Tisch, »Ihr selber ebenfalls profitieren würdet.«
Miguel versuchte sich seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Sie bestach ihn, damit er jemand anders bestach, damit der dieses Mädchen freiließ?
»Ihr wollt mich bestechen?«, fragte er kühl.
»Keineswegs. Ich möchte Euch für Eure Dienste bezahlen. Das ist doch nichts Ehrenrühriges. Sagtet Ihr nicht selber beim letzten Mal, Ihr seid Kaufmann?«
»Euer Portugiesisch ist exzellent. Dennoch darf ich Euch darüber aufklären, dass ›Kaufmann‹ nicht gleichbedeutend ist mit einem Mann, den man kaufen kann.«
Amba fragte sich, ob sie zu weit gegangen war. War Ribeiro Cruz ehrlich beleidigt, oder spielte er nur den Brüskierten? Wollte er ihr imponieren, indem er den unbestechlichen, aufrechten Patrizier spielte? Oder bezweckte er damit nur, den Preis in die Höhe zu treiben?
»Ihr hättet mich nach dem Preis für meine Dienste fragen sollen«, sagte Miguel, »und uns beiden damit die Schmach ersparen sollen, dass ich nun die Münzen in dem Beutel zähle. Das ist Eurer und meiner unwürdig.«
Also doch! Amba war erleichtert und enttäuscht zugleich. Einerseits war sie froh, dass Ribeiro Cruz ihren Auftrag annehmen würde, sofern man sich auf einen Preis einigte. Andererseits hätte er ihr besser gefallen, wenn er nicht so habgierig gewesen wäre. Aber warum sollte er anders sein als die meisten anderen Menschen, die sie kannte?
»Nun, dann nennt mir Euren Preis.«
»Hebt Euren Schleier. Ich möchte Euer Gesicht sehen.«
»Wie könnt Ihr es wagen?!«,
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