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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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seinen Haushalt zu kümmern. Es waren Möbel zu reparieren, Wände zu streichen, Silberstücke zu polieren; der Weinkeller musste gesichtet, alte Kleidung aussortiert werden und dergleichen mehr. Er fühlte sich manchmal wie eine alte Matrone, wenn er mit scharfem Blick durchs Haus ging, alles inspizierte und anschließend die Aufgaben unter seinen Dienern verteilte.
    Auch hatte er sich einige Geschäftsbücher mit nach Hause, ins Solar das Mangueiras, genommen, um sich in ein paar zweifelhaften Punkten Klarheit zu verschaffen. Ihm war beim oberflächlichen Abgleichen der Zahlen aufgefallen, oder zumindest glaubte er es, dass die Preise enorm schwankten. Warum sollte ein Sack Pfeffer im einen Jahr doppelt so viel kosten wie im Jahr davor? Trog ihn sein Gedächtnis, oder verhielt es sich wirklich so? Wenn ja, was mochten die Gründe dafür sein? Eine schlechtere Ernte? Höhere Nachfrage in Europa? Gestiegene Lager- und Transportkosten? Miguel legte eine Liste mit all den Fragen an, die er Senhor Furtado stellen wollte, wenn er ihn das nächste Mal sah.
    Trotz all der Beschäftigung, die Miguel sich suchte, brachte die Regenzeit allzu viele Mußestunden mit sich. Er las viel, er schlief viel, er aß und trank zu viel. Und er verbrachte viele Stunden mit seinen inzwischen schon abgegriffenen Spielkarten. Dieses vermaledeite Wetter hatte sie beinahe ruiniert. Einige Karten waren wellig und aufgequollen, andere waren an der nächsten festgeklebt. Aber für seine kleinen Übungen würden sie es wohl noch tun.
    Er rief nach Crisóstomo, den er seit ihrer Rückkehr von der gemeinsamen Reise absichtlich auf Distanz gehalten hatte. Die notgedrungene Nähe zueinander, in der sie diese Wochen verbracht hatten, sollte den Burschen nicht glauben lassen, er sei etwas Besseres als die anderen Dienstboten oder gar ein Vertrauter seines Herrn. Unterwegs musste man zusammenhalten, aber dieses Gemeinschaftsgefühl durfte man nicht mit Freundschaft verwechseln. Dennoch war Miguel der Junge ans Herz gewachsen, unter anderem auch deshalb, weil er eindeutig schlauer war als der Rest seiner Diener zusammengenommen. Und so etwas ließ man in Indien als
punkah wallah
arbeiten!
    Der Palmwedler, den er jetzt in seinem Haushalt beschäftigte, war dank seiner unendlichen Blödheit für diese Arbeit viel besser qualifiziert. Er warf dem schwachsinnigen Jungen von etwa dreizehn Jahren, der in der Ecke saß und stumpf mit den Zehen den Ventilator betätigte, einen kurzen Blick zu. Der Junge strahlte ihn an, und Miguel, seltsam gerührt, lächelte zurück. Dieser Junge war wie ein Hund, der froh ist, die Aufmerksamkeit seines Herrn erregt zu haben. Allerdings verfügte er bei weitem nicht über Panjos Intelligenz.
    Als Crisóstomo erschien, bat er ihn, sich zu ihm an den Kartentisch zu setzen. »Mein Hirn zeigt erste Zersetzungserscheinungen, so wie alles andere in diesem verfluchten Regen auch fault, vermodert und verschimmelt. Ich muss etwas dagegen unternehmen.«
    »Der Regen lässt sich nicht aufhalten, Herr«, witzelte Crisóstomo, um dann, als er den entnervten Blick Miguels wahrnahm, abzuwiegeln: »Ich meine, sehr wohl, unternehmt etwas gegen die zermürbende Trägheit, die das Wetter auslöst.« Im Grunde fand Crisóstomo, genau wie alle anderen Inder, dass es überhaupt keinen Zweck hatte, sich gegen das aufzulehnen, was die Natur nun einmal so vorherbestimmt hatte. Der Monsun war für viele Menschen eine wohlverdiente Ruhepause von der täglichen Plackerei. »Wie kann ich Euch dabei unterstützen?«, fragte er, obwohl er angesichts der Kartenstapel, die auf dem Tisch lagen, genau wusste, was er tun sollte.
    »Du kannst mir assistieren. Misch diese Karten und decke sie nacheinander und möglichst schnell auf. Dann prüfe mein Erinnerungsvermögen.«
    Crisóstomo kannte das schon, Senhor Miguel hatte diese Übungen auch unterwegs ein paarmal gemacht. Flink deckte er die Karten auf, gerade lange genug, um Miguel erkennen zu lassen, welches Bild oder welche Zahl sie zeigte. Danach fragte er ab. Nachdem Miguel fehlerfrei geantwortet hatte, mischte Crisóstomo erneut, deckte die Karten kurz auf, um sie sich dann nennen zu lassen, und zwar in der umgekehrten Reihenfolge, also von hinten. Auch diese Aufgabe löste Miguel. Und so fuhren sie eine Weile fort, bis Crisóstomo schließlich meinte: »Mir scheint, Euer Hirn funktioniert einwandfrei. Zumindest mit den Spielkarten. Wollt Ihr Euch nicht eine größere Herausforderung suchen?«
    Miguel fand

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