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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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verständigeren Mann hoch, der mir zuhört. Und vergiss nicht, diesen Köter mitzunehmen.«
    Der Koch wurde aufs Zimmer geschickt, schließlich war es dessen Idee gewesen, den Arzt zu rufen.
    »Ja, Euer Hochwohlgeboren?« Govind schaute den Mediziner fragend an.
    Dieser vermutete zunächst eine unangemessene Spöttelei, stellte jedoch bei einem Blick in die besorgt aufgerissenen Augen des Mannes fest, dass dieser durchaus nicht zu Scherzen aufgelegt war.
    Er wiederholte die Anordnungen, die er dem dummen Jungen zuvor gegeben hatte. »Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass Senhor Miguel keinerlei Flüssigkeit zu sich nimmt. Er leidet an einem schweren Ungleichgewicht der Körpersäfte. Es ist so viel Flüssiges in ihm, dass er ab sofort nur noch Trockenes essen darf. Gebäck, aber bitte keines mit scharfen indischen Gewürzen!, sowie Brot bekommen dem Kranken am besten.«
    Govind rollte mit dem Kopf. Das leuchtete ihm ein. In der indischen Küche gab es Zutaten, die, unabhängig von der Temperatur, als heiß oder kalt eingestuft wurden. Die Europäer hatten ihre Nahrung anscheinend in feuchte und trockene Lebensmittel eingeteilt.
    »Ich werde Senhor Miguel jetzt zur Ader lassen und ihm die Schröpfgläser aufsetzen. Du wirst mir genau dabei zusehen, denn ich kann nicht tagelang über den Patienten wachen. Auch andere Kranke benötigen meine Hilfe. Wenn ich fort bin, musst du in der Lage sein, deinen Herrn zu schröpfen und ihn von den bösen Säften zu befreien. Einen Aderlass musst du nicht machen, dazu braucht es jahrelange Erfahrung, aber du kannst ihm stattdessen Blutegel ansetzen.«
    Govind rollte abermals mit dem Kopf. »Sehr wohl, Euer Hochwohlgeboren. Allerdings werde ich selber diese Arbeit nicht verrichten können. Ich bin der Koch, und als solcher darf ich mit bestimmten – unreinen – Dingen nicht in Berührung kommen. Wir sollten noch den Burschen dazurufen, den Ihr vorhin fortgeschickt habt. Er steht unserem Herrn besonders nah, und seine Kaste erlaubt es ihm auch, Blutegel anzusetzen und ähnliche Dinge zu tun.«
    Der Arzt war empört über so viel Unwissenheit und Mangel an Respekt. Wollte dieser ignorante Kerl ihm zu verstehen geben, er sei sich zu fein für derart schmutzige Aufgaben, wie er, der Arzt, sie ausüben musste? Man durfte in der Wahl der Mittel schließlich nicht zimperlich sein, wenn es dem Wohl des Patienten diente. Er enthielt sich jedoch eines Kommentars. Ihm waren in Indien schon weitaus unglaublichere Dinge widerfahren. Sollte halt ein dummer Lümmel die Blutegel ansetzen.
    Als Crisóstomo erschien, begann der Arzt mit seiner Behandlung. Beiden indischen Dienern wurde beinahe übel von den groben Methoden sowie dem grässlichen Geruch, der sich im Zimmer ausbreitete. Aber sie standen schweigend neben dem Bett und betrachteten besorgt ihren Herrn, der immer grüner im Gesicht wurde. Crisóstomo hielt es irgendwann nicht mehr aus und ging zum Fenster, um es zu öffnen.
    »Halt! Hast du mir vorhin nicht zugehört? Die Luft ist tödlich für euern Herrn!«
    »Raus mit Euch!«, vernahmen sie plötzlich die schwache Stimme des Kranken.
    Der Arzt erholte sich als Erster von dem Schreck, der allen dreien in die Glieder gefahren war. Sie hatten geglaubt, der Patient schliefe. »Da habt ihr es gehört«, sagte er in selbstgerechtem Ton, »euer Herr will euch nicht hier drin haben, weil ihr ja doch nur alles falsch macht.«
    Miguel schüttelte den Kopf. »Nein«, hauchte er, »ich meinte Euch, Doutor.«
    Weder Govind noch Crisóstomo hatten diese Worte verstanden, weil sie bereits aus dem Raum huschten. Und der Arzt ignorierte sie einfach. Der Patient war ja eindeutig nicht mehr bei klarem Verstand – wer wollte da auf seine widersinnigen Wünsche eingehen? Er rollte den stark abgemagerten Mann auf den Bauch, klopfte ihm den Rücken ab und wählte die Stellen aus, an denen er seine Schröpfgläser ansetzen würde.
     
    Zwei Tage später delirierte Miguel. Sein Fieber war so hoch und sein Körper so schwach, dass seine Diener nicht mehr an eine Genesung glaubten und ihn bereits auf seine Reise ins nächste Leben vorbereiteten. Im ganzen Haus brannten Räucherstäbchen. Miguel war mit verschiedenen Ölen eingerieben worden, auf seine Stirn hatte man mit rotem Pulver einen Punkt aufgetragen, der die Energien bündeln sollte. Er wurde mit reinen Speisen gefüttert, vor allem mit Milchprodukten, Honig und Obst, die er jedoch nicht bei sich behielt. In Ermangelung einer Abbildung der

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