Der indigoblaue Schleier
mit ayurvedischen Arzneien gehandelt und den Portugiesen größtenteils unwirksame, allerdings auch unschädliche Kräutermixturen verkauft hatte, sollte heute auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Man hatte ihn überführt, den Leuten als angebliche Medizin gegen die Seuche eine völlig nutzlose Tinktur verkauft zu haben, und zwar zu einem sehr überzogenen Preis. Dieses Gebräu bestand aus dem Urin von heiligen Kühen, Zucker, Salz sowie Essenzen von Myrrhe, Pfeffer und Nelken, wie der Apotheker selber gestanden hatte. Andererseits waren die Methoden, mit denen ihre Landsleute gegen die Epidemie angingen – Gebete und Weihrauch – ebenso fruchtlos. Maria verstand nicht recht, warum der indische Apotheker für ein Vergehen vergleichsweise geringen Ausmaßes mit dem Leben bezahlen musste, während manches echte Verbrechen überhaupt nicht geahndet wurde. Etwa die Plünderungen.
Die Aasgeier waren überall, die echten genau wie die menschlichen. Anders als die Vögel warteten einige der Plünderer nicht einmal ab, bevor ein Mensch verstorben war, um sich an ihm zu vergehen und ihm seinen Schmuck zu stehlen. Einige brachen in die Häuser und Geschäfte ein, und wenn sich herausstellte, dass die Bewohner oder Inhaber durchaus noch unter den Lebenden weilten, halfen sie mit Gewalt nach. Mord und Totschlag breiteten sich schneller aus als die Krankheit.
Die Kirche selber hatte sich einige wertvolle Grundstücke einverleibt, deren indische Besitzer gestorben waren, ohne sich lange mit der Suche nach Erben aufzuhalten. Es herrschte Ausnahmezustand, und alles, was die Epidemie nicht rechtfertigte, wurde eben mit inquisitorischen Notwendigkeiten begründet. Wer wollte sich da noch um Gesetz und Ordnung scheren? Recht hatte immer der, der überlebte.
Maria verließ die Kirche in grüblerischer Laune. Sie vermisste ihren Mann, der kurz nach der Vermählung nach Europa hatte aufbrechen müssen und der noch gar nichts von ihrem Nachwuchs wusste. Andererseits war sie froh, dass ihm all dies hier erspart blieb. Außerdem konnte sie so ihren Aufgaben nachkommen, ohne dass ein übermäßig fürsorglicher Ehemann sie davon abgehalten hätte. Sie lief rasch an dem Scheiterhaufen vorbei. Dieses grausame Schauspiel würde sie sich ganz gewiss nicht ansehen, zumal der Regen wieder stärker geworden war. Sie musste die makabre Frage verdrängen, die sie in ihrem Kopf wälzte, nämlich ob das Feuer trotz des Wetters brennen und den armen Mann hoffentlich schnell töten würde oder nicht. Es war einfach zu widerlich, mit was man sich plötzlich konfrontiert sah.
Sie schützte sich vor der Nässe mit einem dicken Tuch, das sie über Kopf und Schultern spannte, und lief durch Pfützen und um Leichen herum zum Waisenhaus. Das war jetzt wichtiger als alles andere: dass man die verängstigten Kinder tröstete. Einen kleinen Jungen gab es dort, der Marias Herz im Sturm erobert hatte. Er hieß Paulo, war gerade drei Jahre alt und das hübscheste Kind, das Maria je gesehen hatte. Als Mischling, der einer unehelichen Verbindung einer Inderin und eines ihr unbekannten Portugiesen entsprang – Dona Assunção hatte ihr dessen Identität nie offenbaren wollen –, hatte der Junge kaum eine Chance, adoptiert zu werden, dabei war er nicht nur besonders niedlich, sondern auch ein schlaues Kerlchen. Vielleicht würde sie selber den Kleinen eines Tages bei sich aufnehmen, wenn ihr lieber Mann, Manuel, es gestattete.
Sie legte einen Halt bei einem der wenigen Geschäfte ein, die noch geöffnet waren, und kaufte ein paar Leckereien für die Kinder. Die Hälfte davon würde sie wahrscheinlich selber verspeisen, dachte Maria, der schon das Wasser im Mund zusammenlief.
Nun, schließlich verlangte auch ihr ungeborenes Kind nach Nahrung und Zuwendung.
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W enn die Sonne schien und die regennassen Blätter, Gräser und Blumen zum Funkeln brachte, sah die Welt gleich viel freundlicher aus. Der Staub, der sich in der Trockenzeit auf alles Grün gelegt und es braun gefärbt hatte, war weggewaschen worden. Alles glänzte, die Natur erstrahlte in einer erfrischenden Sauberkeit. Neues konnte wachsen, wo Altes und Schwaches zerstört worden war. Die umgestürzten Bäume und abgerissenen Äste versperrten viele Wege, und noch machte niemand sich die Mühe, sie fortzuräumen, denn der Monsun war noch lange nicht vorüber. Immerhin aber erlaubte ein gelegentlicher Sonnentag, dass man wieder Hoffnung schöpfte. Die Kinder konnten im Freien spielen, die
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