Der indigoblaue Schleier
Jungfrau Maria stellte man ihm eine kleine Statue von Parvati auf den Nachttisch, die über ihn wachen und ihn mit ihrer mütterlichen Fürsorge beschützen sollte. Doch all das fruchtete wenig. Wenn ihr Herr gelegentliche Anzeichen eines wachen Verstandes zeigte, dann verlangte er nach einer Weile meist nach Panjo, was nun doch wieder nur als Signal eines fiebrigen Geistes verstanden werden konnte.
Und man hätte ihm seinen Wunsch ohnehin nicht erfüllen können. Denn der Hund, den man von Miguel getrennt hatte – dies war die einzige Anweisung des Arztes, die den Dienern im Solar das Mangueiras sinnvoll erschien – war verschwunden. Tagelang hatte er mit eingezogenem Schwanz und winselnd vor Miguels Zimmer gehockt, und alle Tritte, die ihm die Dienstboten verpassten, hatten ihn nicht von dort fortbewegen können. Bis er eines Tages nicht mehr dort saß. Es kümmerte keinen, denn Hunde streunten nun einmal gern. Bestimmt war das Tier den verlockenden Düften einer läufigen Hündin gefolgt, die sich zufällig in der Gegend aufhielt – der Begattungstrieb war ja bekanntlich bei Rüden stärker als jede Treue zu ihren Herren.
Das monotone Prasseln des Regens auf den Dachpfannen ihres Hauses hatte etwas Meditatives. Amba genoss diese typische Geräuschkulisse des Monsuns. Sie saß mit ihrer
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Nayana zusammen und stickte filigrane Blumenornamente auf einen roséfarbenen Seidenstoff. Die Beschäftigung mit den feinen Garnen und fröhlichen Farben war ebenfalls etwas, das Amba in eine besinnliche Stimmung versetzte. Doch plötzlich riss ein Bellen sie aus ihrer gedankenleichten Laune. Amba ärgerte sich. Sie ging ans Fenster, um zu sehen, was dieses Gekläffe zu bedeuten hatte, und entdeckte einen verwahrlosten Hund, der triefnass und braun vor Schlamm in ihrem Garten stand.
»Makarand, vertreib dieses Tier«, rief sie dem Burschen zu, den sie am Fenster seiner Unterkunft sah, wie er traurig nach draußen starrte und in der Nase bohrte. Makarand ging hinaus in den Regen, wedelte hektisch mit den Händen und sagte ohne besondere Überzeugung: »Husch, husch, hau ab.« Der Hund trollte sich.
Doch wenig später kam er wieder und begann erneut zu bellen. Makarand setzte dem Tier nun mit Tritten zu und versuchte schließlich, als das nichts nützte, ihn mit einem Besen zu verscheuchen, aber der Hund biss hinein, zerrte fest daran und entriss ihm das Gerät. Amba beobachtete die Szene halb belustigt, halb verärgert. Dann ließ der Hund von dem Besen ab und schüttelte sich so stark, dass das braune Sprühwasser bis zur Veranda hin spritzte. Als sein Fell nicht mehr ganz so glatt am Körper anlag und ein Teil des Schmutzes sich gelöst hatte, erkannte Amba das Tier: Es war der Hund von Miguel Ribeiro Cruz. »Das ist doch wohl …!«, entrüstete sie sich und eilte nach unten. Nayana folgte ihr auf dem Fuß.
»Schickt er mir jetzt seinen Hund als Botschafter? Was für eine Frechheit, mich auf diese Weise erweichen zu wollen, ihn zu empfangen! Der kann sich auf etwas gefasst machen, dieser dreiste Kerl. Er wird ja wohl in Kürze aufkreuzen.«
Nayana verstand nicht, warum ihr Schützling sich so ereiferte. Ebenso wenig verstand sie, warum Amba glaubte, der Portugiese sei hierher unterwegs. Es war doch offensichtlich, dass das arme Tier halb verhungert und vollkommen entkräftet war. Und das konnte ja nur bedeuten, dass es den Weg allein auf sich genommen haben musste. Sie wies Amba darauf hin, doch diese ließ den Einwand nicht gelten.
»Wie soll der Hund denn über den Fluss gekommen sein? Die Fähren verkehren kaum noch, und bestimmt lassen sie keine herrenlosen Köter mitfahren. Und dafür, dass der Hund schwimmend an das andere Ufer gelangt sein könnte, ist die Strömung doch viel zu stark. Nein, Nayana, ich sage dir, jeden Augenblick wird hier ein unverschämt grinsender Mann auftauchen und sich darauf verlassen, dass wir Mitleid mit ihm und dem Tier haben. Es ist nichts weiter als eine sehr durchschaubare, einfältige List.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hielt Ausschau nach dem Besucher, der gewiss demnächst kam. Der Hund hatte vorübergehend aufgehört zu bellen, da Nayana ihm gestattet hatte, auf die Veranda zu kommen, wo sie ihn mit einem Tuch trocken rubbelte. Doch kaum war die Säuberungsprozedur überstanden, da begann er auch schon wieder zu kläffen. »Still, du Mistvieh!«, herrschte Amba ihn an, mit dem Ergebnis, dass der Hund nur noch vehementer Krach schlug. Er stellte sich
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