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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nicht mal so schlecht. Und ihr junger Laufbursche Makarand war verschlagen und gewitzt genug, um im Leben des Mannes die eine oder andere Untat zu entdecken, die Letzterer lieber geheim halten würde. Oder sollte sie lieber weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen und dem Kerl geben, was er verlangte? Allzu hoch war der Preis nicht. Heute etwa ließ er sich mit einer kleinen Elfenbeinschatulle abspeisen, die er während ihrer Unterhaltung begehrlich angeschaut hatte.
    Nachdem Manohar mitsamt seiner Beute verschwunden war, wurde das Abendessen serviert. Amba ließ sich im Schneidersitz auf einem Bodenkissen nieder und nahm mit einem Stück Fladenbrot das
dhal
auf. Heute schmeckte ihr das Linsengericht nicht, obwohl sie sicher war, dass es nicht an Chitranis Kochkünsten lag. Der Tag in der Stadt und der anschließende Besuch Manohars hatten ihr den Appetit verdorben. Und dann war da noch etwas, das an ihr nagte. Doch je mehr sie darüber nachdachte, was genau das hätte sein können, desto weniger bekam sie es zu fassen. Es war nichts wirklich Schwerwiegendes, dessen war sie sich sicher, eher ein kleines Ärgernis, das sich eine ganze Weile ignorieren lässt und einen nur durch seine Beharrlichkeit quält wie ein ziependes Haar in einem zu straff geflochtenen Zopf.
    Es hatte wieder begonnen zu regnen. Die Palmen bogen sich in dem starken Wind, und während Amba dem Rauschen ihrer Blätter lauschte und den Teller
dhal
von sich wegschob, fiel es ihr plötzlich wieder ein. Es waren die blitzenden Augen des Portugiesen, der sie so unverschämt begafft hatte – sie waren das ziepende Haar. Sie würde es so bald wie möglich ausrupfen.

[home]
4
    C arlos Alberto Sant’Ana war kein missgünstiger Mensch. Er gönnte Miguel sein blendendes Aussehen und seinen angesehenen Namen. Schließlich nützte ihm beides wenig.
    Monatelang hatte er sich anhören müssen, was es für einen jungen Mann bedeutete, immer nur der Zweite zu sein, der Jüngere, der immer zurückstecken musste. Als wüsste er, Carlos Alberto, das nicht am allerbesten. Er war der Viertgeborene in einer Familie mit fünf Söhnen und drei Töchtern, und das, so hatte er versucht Miguel begreiflich zu machen, war noch viel undankbarer. Weder der Älteste noch der Jüngste zu sein, sondern sich in einer undefinierbaren Mitte angesiedelt zu sehen, zwang einen in die Rolle des unauffälligen Strebers.
    Die Erstgeborenen waren allein durch diese Pionierrolle, zu der sie selber nicht das Geringste beigetragen hatten, von Geburt an der größte Stolz ihrer Eltern. Waren sie noch klein, wurde jeder Rülpser von ihnen bestaunt, und später wurde jede noch so banale Leistung, die sie erbrachten, bejubelt. Bei den Jüngsten dagegen, den Nesthäkchen, hatte der Ehrgeiz der Eltern sich oft schon abgenutzt, so dass sie auf Schritt und Tritt verhätschelt und getätschelt wurden. Die Mittleren aber waren – nichts, allein durch den Zufall, der den Zeitpunkt ihrer Geburt bestimmt hatte. Sie mussten sich demnach viel mehr anstrengen, um in den Genuss derselben Aufmerksamkeit zu kommen, wie sie ihre ältesten oder jüngsten Geschwister ohne jede Anstrengung erhielten. Die mittleren Geschwister, das hatte Carlos Alberto schon häufig beobachtet, waren die fleißigeren, strebsameren, ordentlicheren, manierlicheren und vor allem die ambitionierteren Kinder. Und so blieb es ein Leben lang.
    Er selber war ein Paradebeispiel dafür. Weder verfügte er über Miguels aristokratische Erscheinung noch über dessen familiären Hintergrund. Und doch war es ihm gelungen, sich aus der ihm vorherbestimmten Mittelmäßigkeit zu lösen. Er hatte früh erkannt, dass Geld die Welt regierte – und schon im Alter von dreizehn Jahren beschlossen, dass er reich werden müsse. Leider gab es nicht sehr viele legale Möglichkeiten für den mittleren Sohn eines Fregattenkapitäns, dieses Ziel zu erreichen. Beim Militär, sei es beim Heer oder bei der Marine, hätte er eine schöne Karriere machen können, die allerdings nicht sehr lukrativ zu werden versprach. Das wusste er ja nun zu gut. Sein Vater war bei seinen seltenen Aufenthalten zu Hause in Leiria regelmäßig von seiner Mutter angekeift worden, und es war ausnahmslos um Geld gegangen. Dieser ewige Streitpunkt hatte die beiden aber nicht abgehalten, bei jedem Heimaturlaub ein weiteres Kind zu zeugen, auf dass die Familie noch mehr knapsen musste. Nun denn. Auch das würde er, Carlos Alberto, sich immer als abschreckendes Beispiel vor Augen

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