Der indigoblaue Schleier
halten. Sollte er je heiraten, dann würde er darauf achten, dass nach zwei Kindern Schluss war.
Er hätte es vielleicht auch als Gelehrter zu etwas bringen können, als Arzt oder als Jurist, doch beide Berufe reizten ihn nicht sonderlich. Abgesehen davon war ihm auch kein Arzt und kein Jurist bekannt, den man wirklich reich hätte nennen können. Nein, die einzige Chance auf echten Wohlstand bot sich im Handel. Außer den Adligen waren in Portugal allein die Kaufleute mit immensem Vermögen gesegnet. So wie Miguels Vater, der es natürlich nur geerbt hatte. Aber dessen Vater, so hatte Carlos Alberto von Miguel erfahren, der hatte es sich selber verdient. Miguels Großvater war als junger Mann ein Draufgänger und Freibeuter gewesen, der in reiferem Alter sein unredlich erbeutetes Geld schlau investiert hatte. »Mit einem Sack Pfeffer«, so hatte Miguel erzählt, »hat alles begonnen.«
Was Miguels Großvater konnte, konnte er, Carlos Alberto, schon lange. Und es ließ sich auch gar nicht schlecht an. Er hatte auf seiner ersten Indienreise Indigo und Safran gekauft und in Lissabon mit Gewinn weiterverkauft. Zwar war der Erlös nicht so üppig, wie er ihn sich vorgestellt hatte, war doch ein Teil der Ware unterwegs aufgrund undichter Fässer verdorben, aber aus diesem Fehler würde er lernen. Er war 24 Jahre alt, und obwohl er keine Zeit zu verlieren hatte – schließlich wollte er bei Erreichen des 30 . Lebensjahres steinreich sein und eine Familie gründen –, wusste er, dass seine Jugend auch ein großer Vorzug war. Er war nicht nur begierig darauf zu lernen, sondern dessen auch fähig. Die verknöcherten Alten hielten starrsinnig an überholten Traditionen fest und waren blind für alles Neue. Das war auch der Grund dafür, weshalb noch keiner außer ihm auf diese geniale Geschäftsidee gekommen war, die er auf dem Schiff wieder und wieder überdacht hatte, ohne einen Haken daran zu entdecken.
Er hatte sehr an sich halten müssen, um nicht stolz vor Miguel mit seinem Einfall herauszuplatzen. Eifersüchtig hütete er seinen Plan, und selbst unter dem Einfluss von Rum war es ihm gelungen, Stillschweigen zu bewahren. Man konnte nie wissen, was die Konkurrenz so umtrieb. Und ein Konkurrent war Miguel, so viel war sicher. Er hatte ja oft genug davon gesprochen, dass er sich eine eigene Karriere aufzubauen hoffte.
Meine Güte, dachte Carlos Alberto, mit diesem Zahlengedächtnis hätte er selber schon längst ein Vermögen gemacht! Man brauchte nur dümmlich zu lächeln und den verwöhnten Kaufmannssohn zu geben, schon setzten die anderen unvernünftig hohe Beträge, weil sie den reichen Trottel auszunehmen gedachten. Wenn dann das Gegenteil eintrat und der vermeintliche Dummkopf gewann, merkten die Verlierer nicht einmal, dass sie hereingelegt worden waren. Miguel könnte an jedem Ort der Erde leben und dieser »Arbeit« nachgehen, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnete, dass sie keine war, sondern am Spieltisch, in netter Runde und bei dem einen oder anderen Gläschen stattfand. Als Carlos Alberto seinen Reisegefährten gefragt hatte, warum er genau dies denn nicht tat, wurde ihm mit einem traurigen Lächeln geantwortet: »Verstehst du denn nicht, Carlos Alberto? Es ist zu leicht.«
Nein, Carlos Alberto Sant’Ana war kein missgünstiger Mensch. Aber diese Antwort erfüllte ihn mit einem glühenden Neid, wie er ihn nie zuvor verspürt hatte.
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5
S ie heißt Dona Amba. Sie lebt weit abgeschieden auf der anderen Seite des Flusses und kommt nur einige Male im Jahr in die Stadt. Kein Mensch hier hat je ihr Gesicht gesehen. Manche glauben, sie habe eine schwere Entstellung und verhülle darum ihr Gesicht. Andere behaupten, sie sei so unbeschreiblich schön, dass allein ein Blick auf ihr Antlitz einen Mann umbringen könne. Wieder andere, in letzterem Fall meist eifersüchtige Frauen, sagen, sie mache sich nur wichtig und sehe absolut durchschnittlich aus.«
Miguel hatte sich Senhor Furtados Erklärung Wort für Wort gemerkt, ja, sie hatte sich förmlich in sein Gedächtnis eingebrannt. Es verwunderte ihn nicht wenig, denn während er sich komplizierte Zahlenreihen schon immer gut hatte einprägen können, waren ihm Worte meist schnell wieder entfallen. Das Auswendiglernen von Gedichten etwa war etwas gewesen, das er nie beherrscht hatte und woran all seine Lehrer verzweifelt waren. Hatte es womöglich mit dem Inhalt der Verse zu tun, der ihm als Junge noch nicht zugänglich gewesen war?
Amba. Er
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