Der indigoblaue Schleier
ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Er war sinnlich und geheimnisvoll, weich und elegant. Genau wie diese unglaublich anrührenden Füße. Herrgott, schalt er sich, er konnte doch nicht von den Füßen auf die ganze Frau schließen! Nie zuvor war es Miguel passiert, dass der Anblick eines Körperteils, dem er bisher nicht die geringste erotische Bedeutung zugemessen hatte, ihn so verwirrt hatte. Doch die Füße der Frau waren mehr als schön gewesen. Sie hatten verführerisch und zugleich unschuldig gewirkt, eine magische Kombination. Wenn der Rest ihres Körpers ebenso beschaffen war, dann würde er für die Genüsse, die er versprach, gern darauf verzichten, das Gesicht der Frau anzusehen. Ah, er verlor sich schon wieder in lasziven Tagträumen! So ein Unsinn. Natürlich wollte er das Gesicht der Frau sehen, denn insgeheim gab er den Stimmen recht, die behaupteten, Dona Amba sei von fataler Schönheit. Er hoffte es. Und er war entschlossen, es herauszufinden, koste es, was es wolle.
Dann, einige Augenblicke später, nahm Miguel in seinem Sessel eine aufrechtere Haltung ein und zwang auch seinen Geist in vernünftigere Bahnen. Es musste an dem unerträglich schwülen Wetter und an der noch drückenderen Langeweile liegen, dass er sich hier andauernd bei solchen Phantasien ertappte. So ging das nicht weiter. Seit drei Wochen war er bereits im Solar das Mangueiras, und was hatte er vorzuweisen? Nichts. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, den ominösen Verlusten bei den Warenlieferungen auf die Spur zu kommen oder wenigstens etwas über den Gewürzanbau zu lernen, zog er es vor, den ganzen Tag schlapp in einem Sessel zu hängen und an eine Frau zu denken, die vermutlich einen guten Grund hatte, ihr Gesicht zu verschleiern. Auffallende Schönheit erachtete er als keinen solchen. Eine auffallende Entstellung dagegen schon.
Dachte er nicht an die geheimnisvolle Amba, schlief oder aß er. Miguel fühlte sich durch die vielen Stunden, die er im Bett oder bei Tisch verbrachte, sowie durch den Mangel an Bewegung schon richtig aufgedunsen. Irgendwann würde er so ein feister Dickwanst werden wie Senhor Furtado, Herr bewahre! Aber mit irgendetwas Angenehmem musste er sich ja die Zeit vertreiben, um nicht vollends den Verstand zu verlieren. Die feuchte Hitze hatte ihn gequält, und wie allen anderen war ihm das Aufkommen des Regens anfangs als große Erleichterung erschienen. Doch bereits nach wenigen Tagen waren alle Wege aufgeweicht, so dass jeder Ritt in die Stadt zu einem qualvollen Unterfangen für Pferd und Reiter wurde und Miguel ans Haus gefesselt war. Und hier, im Solar das Mangueiras, hatte er bereits alles, was er tun konnte, getan.
Das war nicht viel gewesen. Das Haus befand sich in desolatem Zustand. Doch alle Handwerker, die er bestellen wollte, hatten ihm geraten, mit den Reparaturen bis zur Trockenzeit zu warten. Einzig einen Dachdecker hatte er davon überzeugen können, dass die fehlenden Ziegel ihn in der Trockenzeit nicht weiter stören würden, während des Regens hingegen eine erhebliche Minderung der Wohnqualität bedeuteten. Der Mann war mürrisch im triefenden Regen auf das Dach geklettert, hatte die Arbeit so langsam erledigt, wie es ihm nur möglich war, und hatte Miguel dann eine Summe dafür abgeknöpft, die wahrscheinlich viel zu hoch war. Miguel war sie lächerlich niedrig erschienen.
Im Innern des Hauses hatte er kaum mehr bewerkstelligen können. Die angestammte Dienerschaft war eifrig und freundlich, und sie hatte alle Anweisungen, die Senhor Furtado zuvor erteilt hatte, ausgeführt, so dass der junge Herr in ein sauberes Heim kommen konnte. Doch das war nicht genug gewesen. Miguel war gewiss kein Reinlichkeits- oder Ordnungsfanatiker, aber die Blindheit dieser Leute, ob sie nun echtem Unwissen oder der Faulheit entsprang, irritierte ihn. Wie konnte ein Bursche den ganzen Tag nichts anderes tun, als in gebückter Haltung mit einem kurzen Reisigbesen alle Räume abzuwandern, und dann die prachtvollsten Spinnweben in den Ecken übersehen? Wie konnte man die Wände weißeln und dabei den Fensterrahmen und den Türzargen gleich auch noch ein paar weiße Streifen und Flecken verpassen, ohne sie fortzuwischen? Warum sah die Dienerin, die Staub wischte, nur den Staub, nicht aber die toten Bienen, die sich in den nach oben hin offenen Schirmen der Öllampen angesammelt hatten? Und wie konnte der Junge, der fürs Schuheputzen zuständig war, immerfort die Schuhe aus seinem Ankleidezimmer
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