Der indigoblaue Schleier
alt, und er musste sich sputen, wenn er eines Tages auch noch seine Enkel aufwachsen sehen wollte. Es brach ihm das Herz, denn er wusste, dass er nie wieder eine so schöne und zugleich so kluge Frau finden würde. Aber es war seine Pflicht, Erben zu zeugen. Und Bhavani wurde mit ihren mittlerweile
22
Jahren ja weder ansehnlicher noch fruchtbarer. Sie würde es verstehen, da war Arun ganz sicher. Ja, vielleicht würde sie ihm sogar dabei behilflich sein, eine neue Braut zu finden? Auf ihr Urteil war Verlass, und er hätte sich über diesen letzten Beweis ihrer Gunst sehr gefreut.
Bhavani schenkte Arun ein duldsames Lächeln, wie sie es einst unter den Augen ihrer Tante so gut einstudiert hatte. Innerlich kochte sie vor Wut. Was war das nur für ein absurdes Ansinnen? Wie konnte Arun glauben, sie wolle ihre eigene Nebenbuhlerin auswählen, um anschließend fortgejagt zu werden wie ein diebisches Küchenmädchen? »Selbstverständlich helfe ich dir bei der Suche, mein Geliebter. Ich bin froh, dass du mich darum bittest. Es gilt bei der Auswahl deiner zweiten Gemahlin sehr viele Feinheiten zu berücksichtigen, und ich weiß, dass meine Schwägerinnen nicht in all diesen Dingen so … einfühlsam sind wie ich. Bestimmte Anforderungen, die du an deine Gemahlin hast, kenne ich schließlich besser als jeder andere Mensch auf der Welt«, sagte Bhavani und zwang sich zu einem komplizenhaften Augenzwinkern. Arun war glücklich, dass seine Frau so verständnisvoll reagierte.
Bhavani legte in den darauffolgenden Wochen eine außergewöhnliche Betriebsamkeit an den Tag. Allerdings waren es keine Heiratsvermittler, die sie aufsuchte. Vielmehr setzte sie alles daran, dass ihr Gemahl endlich die Beförderung erhielt, die ihm schon lange zustand, und zwar ohne dass Arun davon jemals etwas erfahren durfte. Es schickte sich nicht, wenn die Frauen sich in Männerangelegenheiten einmischten. Natürlich taten sie es trotzdem, heimlich und raffiniert, wie sie es schon seit Menschengedenken getan hatten. Ein Gruß an die Witwe des Befehlshabers hier, eine Schachtel Konfekt für die Gemahlin des fürstlichen Rittmeisters dort, und schon war der bislang nicht sehr auffällige Arun einer der Favoriten für einen verantwortungsvollen Posten.
Im sechsten Jahr ihrer Ehe sah Bhavani nicht viel von ihrem Gemahl. Arun war nach seiner Beförderung dazu abkommandiert worden, mit seinen Männern die Befestigungsanlagen im Norden zu inspizieren. Aufflammende Grenzkonflikte machten eine erhöhte Wachsamkeit nötig. Aruns lange Abwesenheit ließ die Brautsuche zunächst ins Stocken und schließlich in Vergessenheit geraten. Wie sollte man eine Ehe anbahnen, wenn die künftigen Schwiegereltern den jungen Mann nicht persönlich in Augenschein nehmen konnten?
Bhavani vermisste Arun und fragte sich zuweilen, ob ihre Handlungsweise richtig gewesen war. Dann wieder hielt sie sich vor Augen, dass es keine bessere Lösung gegeben hatte. Lieber blieb sie ohne Arun in diesem Haushalt, in dem sie geachtet wurde und Macht hatte, als dass sie, gleichermaßen ohne Arun, als verstoßene Frau ein Dasein fristete, in dem ihr weder Respekt noch Zuneigung oder Mitleid zuteilwurden. Bhavani wusste, wie hart das Leben außerhalb der schützenden Mauern ihres Heims mit Frauen umsprang, die ohne männlichen Schutz auskommen mussten. Sie wollte sich dieser Schmach nicht noch einmal aussetzen, auch wenn sie jetzt viel reifer war und es sicher schlauer anstellen würde.
Nach sieben Jahren endete Bhavanis Leben als verheiratete Frau. Der schlimmste Fall war eingetreten, schlimmer noch als die Verbannung: Arun war im Kampf gefallen. Bhavani war jetzt eine Witwe. In den Augen ihrer Umwelt endete damit ihre Daseinsberechtigung auf dieser Welt, zumal sie keine Kinder hatte. Sie war
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Jahre alt und wurde von ihrem Schwiegervater, ihren Schwägern und deren Frauen darauf vorbereitet, sich zusammen mit ihrem Gemahl den Flammen anheimzugeben. Als
sati
würde Bhavani sich nicht nur im Tod wieder mit Arun vereinigen, sie würde auch ihre bedingungslose Treue zu ihrem Gemahl unter Beweis stellen.
Satis
brachten der Familie große Ehre und Anerkennung, nicht selten wurden sie nach ihrer Selbstverbrennung zu Heiligen verklärt.
Bhavani verzehrte sich vor Trauer um Arun und quälte sich mit Selbstvorwürfen. War sie ihm eine gute Gemahlin gewesen? Hätte sie doch nur nicht ihren eigennützigen Wünschen nachgegeben! Denn wenn sie nicht dafür gesorgt hätte, dass Arun
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