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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Versuchen konnte es nicht liegen. Arun und Bhavani vereinigten sich jede Nacht. Und an ihr selber konnte es auch nicht liegen, oder? Immerhin hatte sie bereits ein Kind unter dem Herzen getragen, aber natürlich wussten nur Bhavani, Nayana und die Maharani, was sonst keine Menschenseele je erfahren durfte. Oder verhielt es sich vielmehr so, fragte Bhavani sich, dass sie nach dem Verlust dieses ungeliebten Wesens nicht mehr fähig war, zu empfangen?
    Nach zwei Jahren an der Seite von Arun war Bhavani immer noch nicht schwanger. Ihre Schwägerin dagegen, die ein Mädchen geboren hatte, war erneut in anderen Umständen. Ihre Schwäger begannen, an Bhavani herumzukritteln und Arun gegenüber zweideutige Andeutungen zu machen, die seine Männlichkeit in Frage stellten. Diese Bemerkungen setzten Arun mehr zu als die Kinderlosigkeit seiner Ehe, so dass auch er irgendwann anfing, Bhavani für ihre Unfruchtbarkeit zu tadeln. Dass es mit seiner eigenen Zeugungskraft nicht sehr weit her sein könnte, das hielt er für ausgeschlossen. Insgeheim jedoch war Arun gar nicht so unglücklich über den ausbleibenden Nachwuchs. Er sah ja an seiner Schwägerin, was die Mutterschaft mit den Frauen machte. Seine Bhavani hatte jedenfalls noch alle Zähne und einen schlanken, biegsamen, straffen Körper, der ihm allnächtlich große Wonnen schenkte.
    Nach dem dritten Ehejahr war Bhavani unter den Frauen im Haus die unangefochtene Herrscherin. Ihre Schwägerin hatte ein weiteres Mädchen zur Welt gebracht und damit den Rang der »ersten« Frau im Haus eingebüßt. Die beiden jüngeren Brüder Aruns hatten sich in einer Doppelhochzeit vor wenigen Monaten vermählt, und ihre blutjungen Ehefrauen waren ebenso verschüchtert wie der Haushaltsführung unfähig. Je größer Bhavanis Macht und Verantwortung wurden, desto mehr fand sie in die Rolle des weiblichen Haushaltsvorstandes hinein. Es gefiel Bhavani, dass sie nun Talente an sich entdeckte, die ihr zuvor gar nicht bekannt gewesen waren. Sie war gut im Rechnen, sie verfügte über planerische Weitsicht, und sie strahlte eine Autorität aus, die keiner der Dienstboten je in Frage stellte. Selbst die Männer im Haus ließen ihr mittlerweile freie Hand, wenn es ihr einfiel, einen Raum anders zu dekorieren, ein extravagantes Blumenbeet anzulegen oder neue Domestiken einzustellen.
    Nach vier Jahren endlich wurde Bhavani schwanger. Arun war überglücklich, und auch ihre Schwäger und Schwägerinnen beglückwünschten Bhavani mit großem Tamtam. Doch die Freude währte nicht lange: Nach drei Monaten verlor Bhavani das Kind. Sie war untröstlich und flüchtete sich in die Arbeit im und am Haus, das einen Anbau nach ihren Entwürfen erhielt. Denn die Familie war wieder gewachsen. Ihre beiden jüngeren Schwägerinnen hatten Kinder zur Welt gebracht, eine Tochter die eine, einen Sohn die andere. Bhavani setzte durch, dass ihre alte
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für die Kinderbetreuung zuständig war, ließ aber wenigstens zu, dass Nayana eine jüngere Kraft zur Seite gestellt wurde. Nayana war in einem Alter, in dem andere Frauen längst Großmütter oder sogar Urgroßmütter waren.
    »Ein Fluch lastet auf dir«, flüsterte Nayana ihrer Ziehtochter eines Tages zu.
    Bhavani gab ihr eine Ohrfeige. »Und du wirst mit jedem Tag abergläubischer und dümmer. Warum plapperst du den jungen Gänsen alles nach? Bist du ein Papagei?«
    »Bhavani-Schatz, so war es doch gar nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass du die Schuld nicht bei dir zu suchen brauchst – denn die Götter haben dich zu einem Dasein bestimmt, in dem deine Gaben vielen Menschen zugutekommen. Mütter denken nur an ihre Kinder.«
    Je mehr Bhavani sich hinter ihrer Tüchtigkeit verschanzte und je mehr sie ihre Überlegenheit gegenüber den jüngeren und weniger fähigen Frauen im Haus zeigte, desto mehr wuchs Nayanas Glaube an übernatürliche Phänomene, an die Weisheit der Götter und die Unausweichlichkeit des vorbestimmten Karmas. Wo, so fragte sich Bhavani immer öfter, war nur die lebenskluge Frau geblieben, die ihrer beider Flucht und ihr Überleben ermöglicht hatte? Umgekehrt war Nayana von Tag zu Tag tiefer erschüttert über die Veränderung Bhavanis. Wo, fragte sich die alte Kinderfrau, war das liebreizende Mädchen geblieben, dessen reines Lachen die Seele mehr erhellt hatte, als ein Sonnenstrahl es je vermocht hätte?
     
    Im fünften Jahr ihrer Ehe beschloss Arun, dass er Bhavani verstoßen und sich eine neue Gemahlin suchen sollte. Er war
31
 Jahre

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