Der indigoblaue Schleier
Unbequem!, dachte Isabel, das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Die halbe Fahrt über hatte sie sich in ihrem Bett festzurren müssen, und ihr war es noch vergleichsweise gut ergangen. Die arme Dona Juliana hatte ununterbrochen gespuckt, und ihr Gatte, Senhor Afonso, war gestürzt und hatte sich mehrere Rippen gebrochen, so dass ihm fortan jeder Brecher, der ihre Galeone erfasste, schreckliche Qualen bereitete.
Als sie schließlich, Mannschaft wie Passagiere am Ende ihrer Kräfte, Goa erreichten, war die Bestürzung groß: Die Cholera wütete! Sogar hartgesottene Matrosen, die zuvor schon in Goa gewesen waren, waren den Tränen nah – sie hatten sich auf anschmiegsame Mädchen und feuchtfröhliche Tropennächte gefreut, die sie für die unmenschliche Arbeit an Bord entschädigen würden. Doch sie fanden nichts als Tod und Trauer vor, Verwüstung und Verwesung.
Da zu dieser Jahreszeit niemand mehr mit dem Eintreffen ihres Schiffes gerechnet hatte, war auch niemand erschienen, um sie abzuholen. Afonso und Juliana Queiroz hatten entfernte Verwandte in einem Brief von ihrem Besuch unterrichtet, und auch Miguel Ribeiro Cruz sollte von Isabels Eintreffen in Goa informiert worden sein. Da jedoch niemand sie abholen kam, waren sie gezwungen, sich in einer ihnen fremden Stadt, die sich noch dazu in Todesqualen wand, selber durchzuschlagen. Und da Dona Juliana und Senhor Afonso mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt waren, war es an Isabel, sich um alles zu kümmern.
Und sie hatte Glück. Eine junge Frau, offenbar eine Krankenschwester, die von verwahrlosten Kindern umringt wurde, gab ihr die Auskunft, sie möge sich an das Büro der Firma Ribeiro Cruz & Filho wenden, und zwar an einen Senhor Furtado. »Er wird eine Kutsche für Euch bereitstellen, wenn er erfährt, dass Ihr Gäste von Senhor Miguel seid. Auf dem Solar das Mangueiras seid Ihr vorerst in Sicherheit, es liegt weit genug von der Stadt entfernt, so dass die Seuche noch nicht bis dorthin gelangt ist. Und grüßt den lieben Senhor Miguel von mir. Er kennt mich noch als Maria Nunes, das war mein Mädchenname. Ich habe ihn seit meiner Hochzeit nicht mehr gesehen, ich hoffe, es geht ihm gut.« Maria errötete heftig, und Isabel fragte sich, ob sie eines der vielen Mädchen war, deren Herz Miguel Ribeiro Cruz gebrochen haben sollte.
Senhor Furtado war ein Inder, der sie sehr aufmerksam musterte, als sie sich als eine Freundin der Familie Ribeiro Cruz vorstellte. So viel, dachte Isabel, stimmte wenigstens. Ihren »Verlobten« hatte sie zwar noch nie zu Gesicht bekommen, die Familie in Lissabon aber kannte sie. Sie schämte sich ein wenig ihrer Dreistigkeit. Unter normalen Umständen wäre sie anders vorgegangen. Sie hatte vorgehabt, sich zunächst einmal Portugiesisch-Indien anzuschauen, ihre Freiheit sowie das angeblich so leichte Leben in der Kolonie zu genießen und die Begegnung mit dem berüchtigten Herzensbrecher so lange wie möglich hinauszuzögern. Sie wollte nicht heiraten, und schon gar nicht einen Mann, den sie gar nicht kannte. Als ihre Eltern den »Handel« mit den Ribeiro Cruz abgeschlossen hatten, war ihr das wie die Erfüllung ihrer Träume erschienen – fort von daheim, hinaus in die weite Welt und niemand als Aufpasser als dieses arglose ältere Ehepaar! Sie hatte sofort eingewilligt.
Der Ausbruch der Seuche jedoch, das große Elend in der Stadt und die unsäglichen Witterungsbedingungen hatten all ihre Pläne über den Haufen geworfen. Was sie noch viel weniger wünschte, als zu heiraten, das war zu sterben. Nichts auf der Welt lohnte es, sein Leben dafür zu riskieren. Also hatte sie ihren Stolz hintangestellt und war direkt zu diesem Agenten der Firma Ribeiro Cruz gelaufen. Es war eine gute Entscheidung gewesen. Senhor Furtado, der übrigens der einzige Mensch in Goa zu sein schien, der vollkommen unbeeindruckt von der Seuche weiter seiner Arbeit nachging, stellte ihr und den Eheleuten Queiroz eine komfortable Kutsche zur Verfügung, ließ ihr Gepäck vom Hafen holen, gab ihr Post und Geschäftsunterlagen für Senhor Miguel mit und packte schließlich noch eine Kiste mit Leckereien mit ein. »Er wird sich über ein paar Flaschen guten Weins und portugiesische Delikatessen freuen. Über Besuch selbstverständlich auch. Ich habe ihn wochenlang nicht in der Stadt gesehen. Ich fürchte, die Wege sind nur schwer passierbar, also macht Euch auf eine rumpelige Fahrt gefasst.«
Isabel dankte dem freundlichen Mann – dem ersten
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