Der indigoblaue Schleier
ihren Brokatgewändern miteinander verbunden, sieben Mal um das heilige Feuer schritten. Nach dieser
pheras
-Zeremonie galten sie als vermählt. Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten sechs Tage an, mehr als tausend Gäste nahmen daran teil – unter anderem Bhavanis Bruder Vijay, der jedoch nicht allzu viel von seiner Schwester zu sehen bekam. Bhavani erschien diese Zeit wie ein endloser, konfuser, bunter Traum. Die vielen
pujas,
die sie zu absolvieren hatte, und all die traditionellen Rituale, die strikt befolgt werden mussten, hatten sie ermüdet. Es war eine einzige Abfolge anstrengender Pflichten gewesen, von den tagelangen
sangits
– Frauengesängen zu
dholak
-Trommeln – über das lange Stillsitzen, während die
mehdis,
die Henna-Ornamente, auf ihre Haut aufgetragen wurden, bis hin zu der eigentlichen Trauung, bei der der Brahmanen-Priester endlose Verse aus dem Rigveda rezitiert hatte und das Brautpaar unter der Pracht seiner schweren Hochzeitsgewänder schier zu schrumpfen schien. Eine indische Hochzeit ist für die Gäste ein wunderschönes Ereignis, bei dem viel getanzt, gesungen und geschlemmt wird. Für die Brautleute ist es sehr strapaziös.
Bhavani fragte sich, wie sie nach dieser Prozedur noch die mannigfaltigen Anweisungen des Priesters befolgen sollte, die sie, einer Ohnmacht nahe, ohnehin nur noch zur Hälfte mitbekommen hatte. Eine davon hatte sie sich allerdings merken können, weil ihr die Aneinanderreihung der einzelnen Punkte beinahe lächerlich erschienen war: »Sei frei von bösem Blick, keine Gattenmörderin, freundlich zu den Tieren, wohlgemut, gutaussehend, Helden gebärend, die Götter liebend, Freude spendend.« Nun, sie würde jedenfalls ihr Bestes geben.
Arun machte es ihr denkbar einfach. Er war ein attraktiver Mann, und mit seinem offenen, fröhlichen Wesen eroberte er Bhavanis Herz im Sturm. In der Hochzeitsnacht brauchte Bhavani weder Prüderie noch Schüchternheit vorzutäuschen – sie war tatsächlich so verängstigt, dass sie sich zierte wie eine Jungfrau. Doch Arun war sehr einfühlsam und zärtlich, und es dauerte nicht lange, da begann Bhavani Gefallen an den gemeinsamen Nächten zu finden. Arun hatte einen schlanken, kräftigen Leib, der sie alle alptraumhaften Bilder von dem welken Fleisch ihres Onkels vergessen ließ. Dank seiner Jugend benötigte Arun keinerlei Hilfestellung, um für sie bereit zu sein, und sein männlichstes Körperteil war dergestalt, dass es Bhavani eine Freude war, es anzusehen, es zu streicheln und es ihn ihrem Schoß zu fühlen. Die Lehren des Kama, der Kunst der fleischlichen Vereinigung, die man ihr im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen in Grundzügen erklärt hatte, ergaben nun allmählich einen Sinn.
Bhavani hatte nicht nur mit ihrem Gemahl großes Glück gehabt, sondern auch mit dessen Familie. Aruns Mutter war vor langer Zeit gestorben, sein Vater hatte sich danach nicht wieder vermählt. Es gab also keine Schwiegermutter, die ihr das Leben hätte schwermachen können. Und die einzige andere Frau in der Familie, die Gattin von Aruns ältestem Bruder, war froh und dankbar, dass sie nun nicht mehr allein die Verantwortung für den Haushalt zu tragen hatte und ohne andere weibliche Gesellschaft ihre Mahlzeiten einnehmen musste. Sie war eine nette, etwas dümmliche Person, nur wenig älter als Bhavani. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, denn ihr Schwiegervater und dessen vier Söhne waren den größten Teil des Tages außer Haus.
Nach einem halben Jahr als verheiratete Frau beherrschte Bhavani die Landessprache, Marathi, beinahe fließend – denn dass ihre Schwägerin, neben Nayana ihre Hauptgesprächspartnerin, jemals Urdu lernte, schien ausgeschlossen. Auch Arun gab sich keine besondere Mühe mit dem Erlernen der nordindischen Sprache, obwohl sie für ihn nützlich hätte sein können. Er strebte einen verantwortungsvollen Posten bei der Kavallerie des Fürsten an, und Bhavani fand, es wäre im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung hilfreich, die Sprache der Feinde zu verstehen. Aber Arun wollte nichts davon wissen. Er war wunschlos glücklich, solange er nur reiten und kämpfen und seiner überbordenden Energie ein Ventil bieten konnte.
Nach einem Jahr als Gemahlin Aruns wurde Bhavani immer schmerzlicher in Erinnerung gerufen, dass sie ihrer Hauptpflicht als Ehefrau nicht nachkam: Während ihre Schwägerin stolz einen dicken Bauch vor sich hertrug, schenkte sie selber ihrem Mann keinen Erben. An der mangelnden Anzahl von
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