Der indigoblaue Schleier
von einem dummen Lümmel behandelt zu werden wie Bettler.
»Verzeiht, Senhorita. Es ist nur so, dass Senhor Miguel, tja, also, er ist schwer krank geworden, und man pflegt ihn im Haus einer Bekannten, und wir hier, nun ja, wir wollen die Seuche nicht ins Haus lassen. Bisher hat es keinen von uns erwischt, aber …«
»Aber man kann nie vorsichtig genug sein? Wie recht du hast. Dennoch wirst du uns einlassen müssen. Ich bin die Verlobte von Senhor Miguel.« Da, nun hatte sie es gesagt. Sie hatte sich selbst zur Verlobten deklariert, etwas, was sie nie hatte tun wollen, und schon gar nicht angesichts der sehr fragwürdigen Umstände. Im »Haus einer Bekannten« wollte er genesen? Nach allem, was sie von Miguel Ribeiro Cruz gehört hatte, nahm Isabel an, dass er dort auf ganz andere Weise zu gesunden hoffte.
Der junge Bursche rollte mit dem Kopf. Isabel zweifelte an seinem Geisteszustand und stieß die Haustür einfach auf. Von einem Schwachsinnigen im Regen stehen gelassen zu werden gehörte nicht zu den Erfahrungen, die sie in Portugiesisch-Indien zu sammeln gehofft hatte.
»Sind noch weitere Dienstboten hier?«, blaffte sie ihn an. »Dann schick sie hinaus. In der Kutsche befinden sich vornehme ältere Herrschaften, die ein wenig angeschlagen sind, außerdem unser Gepäck und ein paar Dinge, die Senhor Furtado mir für deinen Herrn mitgegeben hat.«
»Sehr wohl, Senhorita.« Crisóstomo war eingeschüchtert von dem herrischen Auftreten der jungen Dame, deren Äußeres durch nichts darauf vorbereitete, dass sich eine solche Furie dahinter verbarg. Sie war nämlich sehr hübsch, sogar nach indischen Maßstäben. Sie war klein und zierlich, hatte eine sehr weiße Haut und dunkles Haar, große Augen und einen vollen Schmollmund. Hätte sie nicht diese furchtbare europäische Kleidung getragen und hätte sie nicht so mit Schminke und Schmuck gegeizt, wäre sie wirklich eine Schönheit gewesen. Stattdessen verbarg sie ihre zweifellos sehr wohlgeratenen Formen unter einem Kleid, dessen zahlreiche Unterröcke ein sehr unvorteilhaftes Hüftvolumen vortäuschten und dessen Oberteil aus einem engen Mieder bestand, das ein großes, viereckiges Dekolleté hatte. Die Vorteile des Letzteren jedoch wurden durch den Gebrauch einer Palatine, eines Schulter- und Brusttuchs, zunichtegemacht. Noch dazu trug die junge Dame, die bisher nicht einmal die Höflichkeit besessen hatte, ihren Namen zu nennen, einen Kragen, groß und rund wie ein Mühlstein, so dass sie wirkte, als habe sie keinen Hals. Sie musste ganz frisch aus Portugal eingetroffen sein, denn bei dem hiesigen Klima verzichteten auch die vornehmsten Europäerinnen hier schnell auf derartig behindernde Accessoires.
»Was ist denn nun?! Wir sind gerade erst von Bord eines Schiffes gegangen, das monatelang unterwegs war. Wir wollen keine weitere Zeit vergeuden, schon gar nicht mit faulen Dienern. Also ruf jetzt endlich die anderen.«
Crisóstomo lobte sich im Stillen für seine Menschenkenntnis.
Er holte den Feger und den Küchenjungen herbei, die in der Hierarchie noch unter ihm standen und seinen Anweisungen anstandslos Folge leisten würden. Gemeinsam halfen sie den älteren Herrschaften aus der Kutsche, entluden das Gepäck und geleiteten die Gäste zu den Zimmern, die noch herzurichten waren. Govind improvisierte unterdessen einen Imbiss, den er vor lauter Nervosität zu scharf würzte, und ließ es sich nicht nehmen, diesen selber zu servieren. Er wollte die Verlobte mit eigenen Augen begutachten.
Auch die anderen Dienstboten lungerten an den Türen des Salons herum, in den man sie geführt hatte, und starrten die Besucher an.
Dona Juliana, Senhor Afonso und Isabel fühlten sich sehr unwohl unter den neugierigen Blicken der Diener. Lustlos tranken sie von einem merkwürdigen Getränk, Ingwerlimonade, und kosteten von den kleinen frittierten Gemüsebällchen. Alles schmeckte gleich, nämlich nach scharfen, exotischen Gewürzen, die keiner von ihnen kannte. Isabel war schließlich wieder diejenige, die die Initiative ergriff.
»Du da«, sagte sie zu Crisóstomo, »sag den Dienern, dass sie unsere Zimmer herrichten sollen. Und dann schick jemanden nach Senhor Miguel. So krank wird er ja wohl kaum sein.«
Crisóstomo hatte nicht den Mut, ihr zu widersprechen. Senhor Miguel mochte inzwischen tot sein. Aber das erschien ihm im Augenblick eindeutig weniger erschreckend, als sich der Furie zu widersetzen.
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I ch sehe, Ihr habt Euch bereits häuslich
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