Der indigoblaue Schleier
musste sich den Mann schleunigst aus dem Kopf schlagen und weiterziehen, um ohne Ballast, so süß er auch sein mochte, ein neues Leben beginnen zu können.
Am Fuß der Treppe holte er sie ein. Er packte sie fest am Oberarm und zwang sie zum Halt. Er zog sie in eine schattige Nische und presste sie mit seinem Körper gegen die Wand. Dann schob er sacht den Schleier nach oben.
Ihr Blick war voller Verachtung. »Was ist, willst du mir Gewalt antun?«
Miguel war entsetzt. »Amba. Ich will nur, dass du mir zuhörst.« Er schaute ihr fragend ins Gesicht, das jedoch nichts außer Ablehnung ausdrückte. Hastig sagte er, was er zu sagen hatte. »Du glaubst, ich hätte eine Verlobte, die ich dir vorziehe. Dem ist nicht so. Die fragliche Dame wurde von meiner Familie als meine Ehefrau auserkoren, aber weder sie noch ich wollen einander heiraten. Ich will nur dich, Amba.«
»Und wenn du mich gehabt hast, kannst du dir eine hübsche Portugiesin zur Gemahlin nehmen.«
»Nein, du scheinst mich mit Absicht falsch zu verstehen. Ich will dich – für immer. Als meine Ehefrau.« Miguel hatte sich seinen Antrag stimmungsvoller vorgestellt. Niemals hätte er geglaubt, sich eines Tages in einem schwach beleuchteten Treppenhaus an eine Wand gedrückt einer widerwilligen Frau zu erklären. Aber es war vielleicht seine einzige Chance. »Ich liebe dich.«
Amba schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Mit Zudringlichkeiten konnte sie umgehen. Sie konnte sich dreister Kerle erwehren und Frechheiten erwidern. Aber eine Liebeserklärung, die mit solcher Dringlichkeit ausgesprochen wurde, machte sie ratlos, zumal sie von einem Mann kam, der längst ihr Herz erobert hatte.
Miguel blickte sie durchdringend an, seine Miene eine Mischung aus Schmerz und Hoffnung. Am liebsten hätte Amba seinen Kopf in beide Hände genommen und ihn zu sich herangezogen, um sein Gesicht mit Küssen zu bedecken und ihm Liebesschwüre ins Ohr zu flüstern. Sie hätte ihre Haut gern an seiner kratzigen Wange gerieben, seinen Duft tief eingeatmet und seine Lippen auf ihren gespürt. Sie hätte am liebsten »Ja!« gerufen.
»Lass mich los, Miguel. Ich bin eine verheiratete Frau, hast du das vergessen?« Sie zwang sich, so viel Kälte wie möglich in ihre Stimme zu legen, und sah ihn ernst an.
Miguel trat einen Schritt zurück, so dass Amba sich von der kühlen gekachelten Wand lösen und an ihm vorbei zur Haustür gehen konnte. Sie legte den Schleier über ihr Gesicht und stieß die große, massive Tür auf, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Miguel blieb regungslos an der Wand stehen und wollte nicht glauben, dass sie ihn so brutal zurückgewiesen hatte. Erst Stunden später, als er wieder daheim im Solar das Mangueiras war, fiel ihm ein, dass er ihr den Ring gar nicht gegeben hatte.
Die Tage flossen zäh und klebrig dahin wie brackiges Flusswasser, wenn es lange nicht geregnet hatte. Miguel war am Boden zerstört. Er hatte den Appetit verloren. Nichts war mehr geblieben von der hoffnungsfrohen Energie, mit der er seinen Handel hatte betreiben wollen, nachdem er die guten Nachrichten von den Mendonças erhalten hatte. Alle Reisepläne verschob er auf einen unbestimmten Tag in der Zukunft. Selbst Panjo gelang es nicht, die Stimmung seines Herrchens aufzuhellen. Es war vielmehr so, dass Miguels schlechte Laune auf den Hund überging, der quengelig war und einen kostbaren Seidenteppich ankaute. Doch Miguel überkam nicht einmal der Anflug eines schlechten Gewissens, weil er das Tier vernachlässigte. Er fühlte sich hohl. Eine unendliche Leere erstreckte sich vor ihm, eine Zukunft, die ihm schal und sinnlos erschien.
Der Monsun ließ in seiner Heftigkeit nach, doch auch das bessere Wetter hatte keinen Einfluss auf die Gemütslage Miguels. Isabel de Matos stattete ihm einen Besuch ab, und er war so kurz angebunden, dass es an grobe Unhöflichkeit grenzte. Sie blieb nicht lange. Senhor Furtado ließ ihm Bücher zur Durchsicht schicken, doch Miguel war fahrig und konnte sich nicht auf die endlosen Zahlenkolonnen konzentrieren. Ebenso erging es ihm mit seinen Spielkarten. Die Tatsache, dass er bei seinen kleinen Kunststücken immer öfter versagte, gab schließlich auch der Dienerschaft zu denken. Hatten sie alles andere auf den Monsun und dessen bekannte Wirkung auf die Seelen mancher Menschen geschoben, so war der Verlust seines Zahlengedächtnisses etwas, das sie wirklich beunruhigend fanden.
»Senhor Miguel?«, kam eines Tages Crisóstomo in sein
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