Der indigoblaue Schleier
kleine Päckchen entgegen, obwohl Amba ihr eingeschärft hatte, nichts von Miguel anzunehmen. Ihre Neugier war einfach stärker. Außerdem war es schwer, dem jungen Mann diese kleine Bitte abzuschlagen. Er war wirklich sehr ansehnlich, und er schaute sie so erbarmungswürdig an, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihn fortzuschicken.
In diesem Augenblick wurde eine Frangipani-Blüte vom Baum direkt vor Miguels Füße geweht. Er hob sie auf, steckte sie Nayana hinters Ohr und flüsterte: »Der grüne Schal steht Euch ganz ausgezeichnet. Aber dieses Geschenk hier«, damit machte er ein Zeichen in Richtung des Päckchens, »kann nur Dona Amba tragen.«
Nayana, die sich den Schal umgelegt hatte, der einst Amba zugedacht gewesen war, schämte sich für ihre Gedankenlosigkeit. Sie hätte den Schal nicht in Gegenwart des Portugiesen tragen sollen. Zugleich fühlte sie sich geschmeichelt, dass der junge Mann überhaupt von ihr und ihrer Aufmachung Notiz nahm und ihr sogar Komplimente machte.
Vielleicht war er doch nicht so übel, wie sie es Amba immer hatte glauben machen wollen.
Miguel dankte Nayana und begab sich wieder zu seinem Pferd. Er wechselte ein paar Worte mit Makarand und Anuprabha, die dem hechelnden Panjo kleine Holzstöckchen warfen und sich dabei königlich amüsierten. Er rief den Hund, setzte ihn in den Korb, stieg auf und ritt unter fröhlichem Winken davon. Dabei war ihm alles andere als fröhlich zumute.
Amba hatte unterdessen Nayana zu sich zitiert. Was er ihr zugeflüstert habe, wollte sie wissen, und sie solle bloß nicht auf die Idee kommen, auch nur eine Silbe auszulassen. Doch Nayana lächelte nur vielsagend, bevor sie schließlich auf Ambas Drängen reagierte: »Es gibt Dinge zwischen Mann und Frau, die man nicht weitererzählt.«
Amba verdrehte die Augen und verfluchte den Charme des Miguel Ribeiro Cruz. Ihre alte
ayah
hatte er jedenfalls um den kleinen Finger gewickelt.
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47
W ollt Ihr bestreiten, an der Fertigung von Reliquienkästchen beteiligt gewesen zu sein, Behältnissen, von denen Ihr ja offenbar wusstet, dass sie Fälschungen beherbergen würden?«
Rujul wischte sich den Schweiß von der Stirn, was nicht so einfach war. Seine Hände waren gefesselt, so dass er beide Hände heben und mit der Außenfläche einer Hand über seine Stirn fahren musste. Was sollte er antworten? Ja, wie in: Ja, ich bestreite die Anschuldigungen? Oder nein, wie in: Nein, ich wusste nicht, dass die Kästchen für gefälschte Reliquien gedacht waren? Die Befragung war perfide, denn ganz gleich, was er antwortete, es wäre immer das Falsche.
»Protokollführer«, sagte Frei Martinho zu einem dünnen Halbinder, der magenkrank aussah, »notiert, dass der Beschuldigte sich zu der Frage nicht äußern will.« An Rujul gewandt, fragte er: »Und wollt Ihr gleichfalls bestreiten, diesen Schlüssel hier geschmiedet zu haben?«
»Nein, ich bestreite das nicht. Er sieht aus, als hätte ich ihn gemacht. Aber das muss vor sehr langer Zeit gewesen sein, denn ich arbeite schon sehr lange nicht mehr als Goldschmied.«
»Zu welchem Schloss gehört er?«
»Woher soll ich das wissen? Wo habt Ihr ihn denn her?«
Eine Wache versetzte ihm mit einem Stock einen harten Schlag auf die Schulter. Rujul traten Tränen in die Augen. Der körperliche Schmerz wäre noch erträglich gewesen. Aber die Demütigung, im Hemd vor diesen Männern zu stehen, die Hände gefesselt, das verletzte Gesicht ungewaschen und blutverschmiert, und zu wissen, dass er keine Chance hatte, das tat wirklich weh. Der eigentliche Betrüger, Carlos Alberto Sant’Ana, saß derweil feixend an dem Befragungstisch, einem riesigen dunklen Holzungetüm, dessen Beine die Form sitzender Löwen hatten, und sorgte allein mit seiner Anwesenheit dafür, dass Rujul eine starke Übelkeit verspürte. Wie hatte er sich nur jemals mit diesem Verbrecher einlassen können? Und warum um alles in der Welt hatte er das vergleichsweise sichere Pangim verlassen, um in der Hauptstadt den Diamanten zu holen? Er brauchte das Geld von Dona Amba nicht, jedenfalls nicht sofort, und er hätte nichts weiter zu tun brauchen, als ihr zu sagen, dass er ihr den Stein zurzeit nicht aushändigen könne. Sie hatte nichts gegen ihn in der Hand. Stattdessen war ihm sein verfluchtes Ehrgefühl – immerhin hatte er der Kundin ein Versprechen gegeben – zum Verhängnis geworden. Und seine Unersättlichkeit. Warum hatte er sich nicht mit dem zufriedengeben können, was er verdiente? Das
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