Der indigoblaue Schleier
Studierzimmer.
»Was ist?«, fragte Miguel barsch.
»Wir … ich frage mich, ob es etwas gibt, das Euch aufmuntern könnte?«
»Vergeude nicht deine Zeit mit meinen Sorgen. Erledige lieber deine Arbeit.«
»Vielleicht sollte ich Dona Amba …« Weiter kam Crisóstomo nicht. Kaum fiel ihr Name, stand Miguel auf und versetzte dem Burschen eine schallende Ohrfeige. »Nimm ihren Namen nie wieder in den Mund! Und jetzt geh endlich, lass mich in Frieden.«
Crisóstomo schlurfte davon. Er hatte keineswegs vor, seinen Herrn »in Frieden« zu lassen. Denn es war überdeutlich, dass Senhor Miguel einen ganz und gar unfriedlichen Kampf mit sich selber ausfocht, den er ohne Hilfe nicht gewinnen konnte. Es musste etwas geschehen. Und er, Crisóstomo, würde so lange darüber nachgrübeln, bis ihm eine Lösung einfiel.
Nichts anderes tat Miguel. Tag und Nacht sann er darüber nach, wie er Amba von seinen lauteren Absichten überzeugen und für sich gewinnen konnte. Der letzte Abend bei ihr, im Garten, konnte doch nicht vollkommen bedeutungslos gewesen sein. Er hatte ihr angesehen, dass sie ähnliche Gefühle für ihn hegte wie er für sie. War es wirklich der ewig abwesende Ehemann, der sie daran hinderte, sich mit ihm einzulassen? War es ihr guter Ruf, auf den sie bedacht war? Immerhin hatte ihr Diener sie in flagranti erwischt. Oder waren es ganz andere Nöte, die sie plagten? Vielleicht würde er ihr helfen können, sich ihrer Probleme zu entledigen? Die Inquisition machte ihr vermutlich zu schaffen – immerhin war damals das Dienstmädchen verhaftet worden, weil es mit blauem Schleier in Erscheinung getreten war. Ob er zumindest in diesem Punkt helfen konnte, indem er dieses Scheusal Carlos Alberto irgendwie aufhielt?
Nach ewigem Hin-und-her-Wälzen der immer gleichen Fragen beschloss Miguel nach einigen Tagen, dass es nun genug sei. Er würde zu ihr reiten. Er würde sie zwingen, ihn anzuhören. Er würde sich nicht abweisen lassen. Ja, genau das würde er tun, und zwar sofort. Die Aussicht auf das Wiedersehen belebte ihn ungemein. Plötzlich packte ihn eine ungeheure Tatkraft. Er spürte am ganzen Körper, wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Er bekam auf einmal großen Hunger, und er hatte unbändige Lust, sich zu bewegen. Während sein Pferd gesattelt wurde, tollte er mit dem Hund im Garten herum. Die Dienerschaft, die sich an den Türen und Fenstern des Solar das Mangueiras herumdrückte, sah ihm befremdet dabei zu. Niemand verstand, wieso der Herr eben noch Trübsal blasen und nun laut lachend mit dem blöden Köter spielen konnte. Sie waren sich einig, dass es sich um eine Form von Geisteserkrankung handeln musste. Vielleicht gehörte das zu den Folgen der Cholera. Sie kannten außer Senhor Miguel niemanden, der an der Seuche erkrankt war und sie überlebt hatte. Gewiss, das würde es sein. Sein Körper schien genesen, doch sein Hirn war angegriffen. Govind beschloss, ab sofort fleischlos zu kochen, denn fleischloses Essen wirkte sich besänftigend aufs Gemüt aus.
Der Ritt in der kühlen, feuchten Luft war erfrischend. Panjo saß vor Miguel in dem Sattelkorb und ließ sich begeistert den Wind um die Nase wehen. Seine Ohren flatterten, was die Dorfkinder, die sich dank des schönen Wetters wieder im Freien herumtrieben, dazu animierte, länger als üblich hinter ihnen herzulaufen und Späße darüber zu machen. Miguel warf ihnen ein paar Münzen zu. Als er das andere Ufer des Mandovi erreichte, begann sein Herz heftiger zu schlagen. Er war nervös. Er hoffte, betete, dass er Ambas Gefühle richtig einschätzte und sie sich nicht etwa nur einbildete. Es gab kaum etwas Beschämenderes für einen Mann, als dass er einen Korb nicht akzeptieren konnte und sich am Ende den Hass einer Frau zuzog, weil er ihr immer weiter nachstellte. Dessen wollte Miguel sich keinesfalls bezichtigen lassen.
Eine Affenbande sauste durchs Geäst, und Panjo wurde unruhig in seinem Korb. Er schien Lust zu haben, den Affen nachzujagen. Kurz darauf kam ihnen ein Elefant entgegen, was Pferd, Reiter und Hund mit großer Ehrfurcht erfüllte. Man sah in Goa nicht oft Elefanten. Dieser zog einen riesigen Baumstamm hinter sich her und trottete friedlich geradeaus, während er gleichzeitig mit dem Rüssel Grünzeug vom Wegesrand abriss und es in sein lächelndes Maul schob. Unglaublich, fand Miguel, dass das gigantische Tier sich von ein paar Fußtritten seines
mahouts
lenken ließ und die per Bambusstöckchen gegebenen Anweisungen brav
Weitere Kostenlose Bücher