Der indigoblaue Schleier
darüber, dass der Juwelier wieder so gut aussah.
»Als ich Euch zuletzt sah, wart Ihr krank. Ihr habt also die Cholera überlebt?«
»Ach was. Ich hatte nicht die Cholera, meine liebe Frau hatte sie. Sie ist gestorben, und ich war – bin – in großer Trauer. Ihr Tod hat mich sehr mitgenommen, aber nun … nun geht mein Leben weiter, während sie …«
Miguel vermutete, dass Senhor Rui seine wahre Gesinnung beinahe dadurch verraten hätte, dass er von dem Übergang in eine neue Daseinsform sprach, von der Reinkarnation, an die die Hindus glaubten. Miguel fand diesen Glauben im Grunde auch nicht merkwürdiger als den der Christen, dass ihre Seele in den Himmel aufstieg, doch er enthielt sich eines Kommentars. Er kam direkt zur Sache.
»Ich bin auf der Suche nach einem sehr ausgefallenen Schmuckstück, mit dem ich meine, ähm, Herzensdame überraschen möchte.«
Rujul zeigte sein breitestes Lächeln. Er hatte es geahnt. Und er hatte vorgesorgt. In der Wohnung, die er in Pangim bezogen hatte, diente eines der Zimmer als provisorischer Verkaufsraum, so dass er seine Geschäfte auch betreiben konnte, solange er noch kein richtiges Ladengeschäft sein Eigen nannte. In diesem Raum befand sich nicht nur die Truhe mit dem doppelten Boden, sondern auch ein loses Dielenbrett, unter dem er Kostbarkeiten verstecken konnte, sowie ein Gemälde in einem schweren Rahmen, der ebenfalls ein Geheimversteck beherbergte. Rujul beziehungsweise Senhor Rui ging zu einer Kommode, zog die obere Schublade heraus und förderte einen Kasten zutage, der mit blauem Samt ausgekleidet war und in dem er besondere Schmuckstücke präsentierte.
»Ringe, Senhor Miguel, das alles sind Verlobungsringe. Ich bin sicher, jeder einzelne davon dürfte Euch zusagen. Wenn Ihr aber meinen Rat hören wollt …«
»Lasst mich erst einmal schauen.« Miguel entnahm dem Kasten einen goldenen Ring, der mit einem großen, makellosen Smaragd besetzt war. Er drehte und wendete ihn, hielt ihn gegen das Licht und bestaunte das Funkeln des Juwels, das ihn an ein ganz bestimmtes Augenpaar erinnerte. Der Ring war perfekt.
»Für die Dame böte sich vielleicht eher dieses Stück hier an«, sagte Senhor Rui und hielt einen Rubinring hoch, der sehr protzig und sicher auch enorm teuer war.
»Was soll der Smaragdring kosten?«, fragte Miguel, ohne auf den Vorschlag des Juweliers einzugehen.
»Dafür muss ich wenigstens ein
lakh
nehmen, um meine Kosten zu decken.«
Miguel lachte schallend. »Ach, Senhor Rui, mir braucht Ihr doch nichts vorzumachen. Also, nennt mir einen korrekten Preis, vorher trete ich gar nicht erst in Verhandlungen.«
Die beiden Männer feilschten und zogen dabei alle Register, bis sie sich nach einer halben Stunde auf einen Preis einigen konnten, der noch unter der Hälfte des zuerst verlangten lag.
»Bestellt der Dame meine besten Grüße«, sagte Senhor Rui schließlich, als Miguel sich zum Aufbruch bereitmachte. »Sie ist eine besonders entzückende junge Person.«
»Aber …« Miguel dämmerte endlich, dass Senhor Rui bei der »Herzensdame« an Isabel de Matos gedacht hatte. Er hatte nicht vor, das Missverständnis aufzuklären, obwohl ihm klar war, dass er die Gerüchteküche noch mehr zum Brodeln bringen würde, wenn Isabel nicht demnächst mit diesem Ring auftrat.
Miguel verabschiedete sich und war, als er aus dem verdunkelten Haus auf die Straße trat, zunächst geblendet von der Sonne, die sich ausnahmsweise zeigte. Er hatte drinnen das Gefühl gehabt, es sei schon später Nachmittag, und nun war er irritiert von der Helligkeit wie auch von der Betriebsamkeit auf den Straßen.
Er blieb einen Augenblick ratlos stehen, weil er nicht genau wusste, in welche Richtung er gehen musste, als er auf einmal Ambas Sänfte sah.
Er versteckte sich in einer Toreinfahrt und beobachtete, wie sie das Haus des Juweliers betrat.
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46
A mba ließ erstaunt den Blick schweifen. Das einstige Fischerdorf mauserte sich zu einer Stadt, zu einer hübschen noch dazu. Die Luft war hier dank der größeren Nähe zum Meer viel besser, und die Überschwemmungen schienen sich ebenfalls nicht so verheerend auszuwirken wie in der Hauptstadt. Zwar war der Stand des Mandovi-Flusses sehr hoch, aber er hatte die Wege noch nicht in sumpfigen Morast verwandelt. Wenn sie klug wären, würden die Portugiesen ihre Hauptstadt hierher, nach Pangim, verlegen.
Amba vergewisserte sich, dass der kleine Beutel, den sie unter ihrem Sari verborgen hatte, sicher verschnürt
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