Der indigoblaue Schleier
und befestigt war. Am Vorabend war sie in ihren Geheimtunnel hinabgestiegen und hatte sämtliche Juwelen, die sie dort gehortet hatte, eingesammelt. Heute war der Tag, an dem sie den Diamanten auslösen wollte – damit sie so bald wie möglich das Land verlassen konnte. Es war einfach zu gefährlich, noch länger hierzubleiben, auch wenn es ihr das Herz brach, ihre erste echte große Liebe dafür zu opfern.
Rujul begrüßte sie mit einer Herzlichkeit, die sie befremdete. Der Mann hatte immerhin gerade seine Gemahlin verloren, wie Amba erfahren hatte. Aber wahrscheinlich hatte er kürzlich ein sehr lukratives Geschäft abgeschlossen, was Männer wie Rujul sehr schnell über alles andere hinwegtröstete. Sie versuchte, sich ihre Verachtung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
»Es ist so weit«, sagte sie nur.
»Oh«, war alles, was Rujul spontan dazu einfiel.
»Habt Ihr ihn?«
»Nun ja, ich habe ihn natürlich noch, allerdings habe ich im Augenblick keinen Zugriff darauf.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich ihn, als ich nach Pangim ging, so sicher versteckt habe, dass auch die Inquisition ihn unmöglich finden kann. Ihr hättet mir rechtzeitig Bescheid geben müssen. Auf die Schnelle kann ich ihn nicht beschaffen.«
Amba kniff die Augen zusammen und blickte den Juwelier hasserfüllt an, was dieser natürlich nicht sehen konnte, denn sie trug ihren Schleier. Wenn dieser Dummkopf den Stein in der Hauptstadt gelassen hatte, dann mochte es Wochen dauern, bis er ihn ihr aushändigen konnte.
»Ihr kanntet den Zeitpunkt«, sagte sie in beherrschtem Ton.
»Aber Dona Amba – wir hatten ihn vor Jahren vereinbart! Da kommt es doch jetzt auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an.«
Dieser Schwachkopf! Es konnte manchmal auf Stunden ankommen, ja sogar auf Minuten. Amba hatte jedoch keine Lust, sich mit Rujul über derartige Dinge zu streiten.
»Habt Ihr wenigstens Geld hier? Ich habe ein paar sehr schöne Stücke mitgebracht.« Sie öffnete den Beutel und schüttete die Kostbarkeiten, die sich darin befanden, auf den Tisch. Das Klirren und Kullern war hübsch anzuhören und zu sehen.
Rujuls Augen weiteten sich. »Das … diese Sachen sind ein Vermögen wert. Ihr könnt Euch denken, dass ich so viele Goldmünzen nicht hier im Haus aufzubewahren pflege.«
Amba nahm eine einzelne Perle, betrachtete sie nachdenklich und ließ sie zurück in den Beutel gleiten. Danach verfuhr sie genauso mit einem schweren goldenen Armreif, dann ließ sie langsam einen exquisit geschliffenen Rubin in den Beutel gleiten.
»Halt!«, rief Rujul. »Einen Teil Eurer Schätze könnte ich Euch jetzt gleich abkaufen. Aber gebt mir eine Woche, damit ich den Diamanten holen kann.«
Die Verhandlungen über den Preis für insgesamt fünf erlesene Stücke gestalteten sich zäh, aber schließlich einigte man sich. Amba füllte die Goldmünzen in ihren Beutel und verabschiedete sich knapp: »In genau einer Woche, Rujul.«
Er rollte schweigend mit dem Kopf, was Bejahung und Verabschiedung in einem darstellen sollte, während er ihr die Tür aufhielt.
Amba trat auf die Treppe. Durch ein Seitenfenster fiel schräg die Sonne und beleuchtete die tanzenden Staubkörnchen. Es musste bereits später Nachmittag sein. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, denn auf keinen Fall wollte sie die Nacht in der Stadt verbringen. Sie lief die Stufen hinunter. Nur das Flappen ihrer Sandalen war zu hören. Doch als sie den Treppenabsatz erreicht hatte, trat plötzlich eine Gestalt aus dem Schatten eines Eingangs heraus. Amba erschrak sich fast zu Tode, bis sie erkannte, wer ihr da aufgelauert hatte.
»Amba!«, rief Miguel flüsternd und griff nach ihrem Handgelenk, um sie zu sich heranzuziehen.
Amba entwand sich seinem Griff. »Spionierst du mir nach?«, fragte sie leise, aber in beißendem Ton.
»Ein Zufall. Ich war eben selber noch bei dem Juwelier, da sah ich dich kommen. Ich muss mit dir reden.«
»Ich wüsste nicht, was wir zu besprechen hätten.«
»Nein?« In seiner Stimme lag Zärtlichkeit.
Miguel wunderte sich über die abweisende Art Ambas. Was war seit ihrer letzten Begegnung geschehen? »Bitte, hör mir zu.«
Doch Amba hatte sich bereits von ihm abgewandt und lief nun eilig die Treppe weiter hinunter. Sie musste fort von hier, so schnell wie möglich. Allein Miguels Anblick würde ihre Standhaftigkeit gefährden, und wenn er in diesem Raunen mit ihr sprach, wurde sie vollends schwach. Sie durfte aber keine Schwäche zeigen. Sie
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