Der indigoblaue Schleier
war nicht wenig. Und seit er Witwer war, war es im Verhältnis noch mehr, denn seine Gemahlin hatte auf großem Fuß gelebt. Vielleicht war es das gewesen, was ihn in den Fokus der Inquisition gerückt hatte. Oh weh, so tief war er nun schon gesunken, seiner armen Gemahlin die Schuld für die Verderbtheit dieser Portugiesen zu geben.
Sie hatten ihm in seinem Haus aufgelauert. Wenigstens hatten sie das Versteck des Diamanten noch nicht aufgestöbert, als sie ihn verhafteten, und er selber hatte nicht viele Wertsachen bei sich getragen. Die waren nämlich jetzt fort – allesamt in den Taschen derjenigen gelandet, die sich nun hinter dem Befragungstisch den Anschein von Rechtschaffenheit gaben. Alles Lügner, Heuchler und Betrüger: Sant’Ana, der das Geschäft mit den gefälschten Reliquien aufgezogen hatte und nun als Ankläger in ebendieser Sache dort saß; der Frei Martinho, der sich eine schwere Goldkette mit Ganesha-Anhänger geschnappt hatte, angeblich, weil es sich um ein verbotenes Götzenbild handelte; der junge Priester, der als Zeuge zugegen war und der sich zuvor einen Siegelring Rujuls in eine versteckte Tasche seiner Kutte geschoben hatte; und der Staatsanwalt als Vertreter der Krone, ein spielsüchtiger Dickwanst, der einen Riesenberg Schulden bei Rujul hatte und hier nun die ideale Gelegenheit sah, seinen Gläubiger loszuwerden.
»Habt Ihr«, fuhr Frei Martinho in seiner Befragung fort, »diesen Schlüssel gefertigt, passend zu einem Schloss an einer Schatulle, in der verbotene Hexen-Utensilien aufbewahrt werden?«
»Nein!«, rief Rujul.
»Also wisst Ihr sehr wohl noch, wofür der Schlüssel gedacht war«, stellte der Inquisitor fest. »Wenn Ihr nicht gesteht, können wir Euch nicht die Absolution erteilen«, sagte er dann mit sanfterer Stimme. »Wir sind keine Unmenschen. Wer aufrichtig bereut, hat die Möglichkeit, Buße zu tun und Vergebung zu erlangen.« Er sah Rujul so durchdringend an, dass diesem die Knie noch wackliger wurden. Es war zum Verrücktwerden. Gestand er, würde ihn eine harte Strafe erwarten. Gestand er nicht, eine noch härtere.
»Ich könnte mir vorstellen«, sagte Rujul schließlich flüsternd, »dass Schloss und Schlüssel ein Geheimnis bewahren sollten. Aber in die Details ihrer geheimen Verstecke weihen mich meine Kunden doch nicht ein.«
Der Inquisitor nickte bedächtig, eine Geste, die Rujul zwar geläufig war, die er aber, im Gegensatz zu dem indischen Kopfrollen, nie in allen subtilen Details zu deuten gelernt hatte.
Sant’Ana beugte sich zu Frei Martinho hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Ist Euch etwas über den Verbleib eines riesenhaften Diamanten bekannt?«
Rujul wurde noch blasser, wenn dies noch möglich war. Woher wusste dieser Teufel Sant’Ana von dem Stein? Er selber hatte keiner Menschenseele etwas davon verraten, und er bezweifelte, dass Dona Amba dies getan hatte.
Carlos Alberto ließ den Angeklagten keinen Moment aus den Augen. Die Reaktion, die dieser bei der Frage gezeigt hatte, ließ ihn hoffen. Es war nur ein Versuch gewesen, ein Schuss ins Blaue, aber er hatte den Verdacht, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
»Antwortet!«, herrschte der Padre ihn an.
»Nein.«
»Protokollführer. Notiert, dass der Angeklagte die Aussage verweigert.«
»Aber ich …«, versuchte Rujul das Missverständnis aus dem Weg zu räumen.
»Antworte, du Heide!«, wurde er von Carlos Alberto unterbrochen.
»Ich weiß nichts über …« Ein Peitschenhieb fuhr auf ihn nieder, so dass der Rest seiner Worte in Schmerzensschreien unterging.
»Der Diamant?«, wollte Carlos Alberto wissen.
»Er ist …« Ein weiterer Schlag, diesmal mit der neunschwänzigen Katze, brachte Rujul zum Schweigen.
Frei Martinho war sehr zufrieden. Er hielt nichts von Carlos Alberto Sant’Ana, aber dieser Angeklagte, den er ihm nach ihrem hässlichen Streit nun doch noch zugeführt hatte, schien in der Tat allerlei auf dem Kerbholz zu haben. Mit der richtigen Behandlung würde dieser »Senhor Rui«, wie er sich nannte, einsehen, dass es besser war, der Kirche seine Verfehlungen anzuvertrauen. Morgen würden sie den Mann in den Fluss tauchen, ein unfehlbarer Test für die Ehrlichkeit und Standhaftigkeit eines Menschen.
Wenn er beichtete und bereute, würde er, Frei Martinho, sich freuen, ein weiteres reuiges Mitglied in der seit dem Ausbruch der Cholera stetig schrumpfenden Gemeinde begrüßen zu dürfen und den Mann zum wahren christlichen Glauben zurückzuführen. Wenn
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