Der indigoblaue Schleier
mehr nachzuweisen als kleine Verfehlungen von der Art, wie sie eigentlich jedem jungen Mann unterliefen: unregelmäßige Besuche der Messe, gotteslästerliche Flüche oder das Spiel mit Karten. Er würde ihn fortan näher im Auge behalten.
»Und wie wollt Ihr beweisen, dass Senhor Sant’Ana der Vater dieses Balgs ist?«, fragte der Geistliche. »Da kämen doch sicher viele andere in Frage.«
»Ihr braucht Euch das Kind nur anzusehen, Padre. Es ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, allerdings verfügt es, nach allem, was ich gehört habe, über einen wesentlich besseren Charakter.« Miguel riskierte viel. Er selber hatte das Kind nie gesehen. Dona Assunção sowie Maria Nunes hatten ihm von dem Kleinen erzählt, und er verließ sich nun vollkommen darauf, dass ihre Schilderungen der Wahrheit entsprachen.
Frei Martinho starrte einen Augenblick auf die drei Bibeln, die vor ihm auf dem Tisch lagen: eine lateinische, eine portugiesische und eine, die in Konkani übersetzt war. Diese Übersetzung missbilligte er zutiefst, und er würde sich mit dem Fall beschäftigen, wenn er Ribeiro Cruz entlassen hatte. Er überlegte fieberhaft, wie er sich einerseits dessen weiterer Mithilfe versichern und ihm andererseits eine Lehre erteilen konnte. Denn wohlhabende Kaufleute waren in seinem Repertoire an Spitzeln Mangelware, und er wollte den Burschen nicht verprellen. Er könnte ihm noch nützlich sein. Zugleich wollte der Padre weder die Unverschämtheiten des jungen Mannes auf sich sitzen lassen, noch ihn weiterer sittlicher Verwahrlosung anheimgeben. Man mochte ihm, Frei Martinho, große Strenge und allzu harte Bestrafungen vorwerfen. Was man ihm jedoch nicht vorwerfen konnte, war, dass er sich nicht ernstlich um die Mitglieder der Gemeinde gesorgt hätte. Er musste nun einmal unnachgiebig durchgreifen, und wenn jemand nicht begreifen konnte, dass es zum Besten der Leute geschah, dann war dies doch wohl das deutlichste Anzeichen dafür, wie weit die Zügellosigkeit schon gediehen war. Und dann hatte er plötzlich eine Eingebung, die er für so genial hielt, dass er sich unbewusst bekreuzigte und seinem Schöpfer dafür dankte.
»Ihr wisst, dass ich Euch an Ort und Stelle verhaften lassen könnte«, sagte er mit grollender Stimme zu Miguel.
Dieser nickte ernst. Er setzte bereits zu einer Antwort an, doch der Padre hieß ihn schweigen.
»Ihr seid kein verdientes Mitglied der Gemeinde, Euer Ruf ist nicht der beste. All dies schlägt sich zuungunsten Eurer Glaubwürdigkeit nieder. Wisst Ihr, hier stehen oft Menschen, die einfach nur von Rachegefühlen geleitet werden, nicht jedoch von der Absicht, dem haltlosen Treiben in Goa Einhalt zu gebieten. Mir will scheinen, dass es bei Euch kaum anders ist.«
Abermals wollte Miguel etwas erwidern, doch eine Geste des Padre ließ ihn verstummen. Er hätte so vieles sagen mögen, etwa dass das »haltlose Treiben« vorwiegend bei Männern zu beobachten war, die, wie Carlos Alberto, mit zu vielen Machtbefugnissen ausgestattet waren und diese gnadenlos zu ihrem eigenen Vorteil einsetzten. Aber er behielt seine Meinung für sich. Es wäre wirklich unklug, den Inquisitor zu diesem Zeitpunkt zu unterbrechen, da dieser offenbar einen längeren Sermon plante.
»Wenn ich bei Euch Reue über Euer eigenes Fehlverhalten entdecken könnte oder den Willen, Euch zu bessern und ein Leben zu führen, das mit den Regeln der heiligen Mutter Kirche im Einklang steht, dann wäre es etwas anderes.«
Miguel fragte sich beunruhigt, worauf der Padre hinauswollte. Sollte er fortan regelmäßiger die Messe besuchen? Nun schön, das würde er gerne tun. Er war ja kein Ungläubiger, im Gegensatz zu dem, was Frei Martinho über ihn zu denken schien. Er glaubte an Gott und achtete die christlichen Gebote. Meistens jedenfalls. Nur die Vertreter der Kirche, die konnte er nicht immer ganz für voll nehmen.
»Ich habe das Vergnügen gehabt, Eure Verlobte kennenzulernen. Sie ist unerschöpflich in ihren Bemühungen, das Leid der Allerärmsten zu lindern. Doch auch ihr steht es nicht gut zu Gesicht, als unverheiratete Frau bestimmte Dinge zu sehen und zu tun. Wusstet Ihr, dass sie alten Männern die Bettpfanne unters Gesäß hält? Dass sie jungen Mädchen bei der Niederkunft als Hebamme zur Seite steht? Nun, mir wäre es lieber, derartige Tätigkeiten würden von einer Frau ausgeübt, die über mehr Lebenserfahrung verfügt.«
Miguel fragte sich, ob der Padre allen Ernstes glaubte, dass Isabel allein
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