Der indigoblaue Schleier
benutzen zu können. Jeder Schlag tat ihr in den Ohren weh, bestimmt würden die Nachbarn den Krach ebenfalls hören und einen Wächter rufen. Doch plötzlich durchstieß sie das Mauerwerk.
Und da lag er.
Pur und kalt und riesig. Keine Schatulle, kein Samtbeutel, kein Kissen schützte den Stein, der des Schutzes auch gar nicht bedurfte. Er war härter als alles andere, das ihn hätte treffen können. Er war herrlich.
Amba ließ ihn in einen Beutel gleiten, den sie am Unterrock ihres Saris befestigt hatte, und huschte so schnell wie möglich davon. Nichts wie weg hier, bevor irgendjemand sie noch entdeckte. Sie verließ das Haus auf demselben Weg, den sie gekommen war. Im Hof blickte sie sich nach allen Seiten um, konnte aber keine Menschenseele sehen. Sie lief in den Nachbarhof und von dort in den Durchgang des Hauses. Dort blieb sie einen Augenblick stehen, holte tief Luft und vergewisserte sich, dass der Stein noch an seinem Versteck war. Doch in dem Moment, in dem sie sich endlich gesammelt hatte und hinaus auf die Straße, in die Sonne, ins Menschengewühl treten wollte, hörte sie hinter sich die strenge Stimme einer Frau.
»Was hast du hier zu suchen?«
Erschrocken drehte Amba sich um. Sie stand einer jungen Portugiesin gegenüber, ein paar Jahre jünger als sie selber, die sehr hübsch war und äußerst vornehm gekleidet. Am liebsten hätte sie die Frage erwidert und die Frau alle Arroganz spüren lassen, deren sie fähig war. Aber dann fiel ihr ein, dass ihre Erscheinung nicht die einer Dona Amba war, sondern die einer einfachen Frau aus einer niedrigen Kaste. Es war vorerst besser, diese Tarnung aufrechtzuerhalten. Also senkte sie den Kopf und murmelte eine Entschuldigung vor sich hin, wie sie vom Tonfall her auch von Jyoti oder Anuprabha hätte kommen können.
»Verzeiht, Senhora, ich, ähm, also, ich habe in diesem Durchgang Zuflucht gesucht. Ein Mann verfolgt mich.«
»Was für ein Mann denn? Dein Gemahl, dem du nicht gehorcht hast? Ein Ladenbesitzer, den du bestohlen hast?«, forschte die andere nach.
»Nein, nein! Ich habe nichts Böses getan! Er ist, also, er stellt mir nach, und er ist weiß, deshalb hält ihn keiner auf. Ich weiß mir keinen Rat mehr!« Es gelang Amba tatsächlich, ihre Stimme zittern zu lassen, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Dabei war es vielmehr so, dass sie sich schwarzärgerte, dass diese Frau die Unverschämtheit besaß, sie, eine Wildfremde, einfach zu duzen und ihr erst einmal die schlimmsten Absichten zu unterstellen.
»Ah. Das tut mir leid für dich. Kann ich dir irgendwie helfen?«, bot die vornehme Europäerin an, was Amba einigermaßen verwunderte. Normalerweise scherte sich die Oberschicht nicht um die Sorgen der kleinen Leute.
»Nein, vielen Dank, es wird schon gehen. Ich glaube, er ist fort.«
»Wie sieht er denn aus, dein Verfolger? Ich könnte ja einmal nachsehen, ob er sich noch irgendwo herumdrückt.«
Amba war vor Überraschung sprachlos. Wer hätte das gedacht? Eine feine Dame ließ sich dazu herab, ihr, einer vermeintlich hilflosen, schutzbedürftigen Eingeborenen, ihre Unterstützung anzubieten. Sie zögerte einen Moment, dann beschrieb sie den erstbesten männlichen Weißen, der ihr in den Sinn kam. Miguel.
»Er ist jung und gutaussehend. Er ist groß und von schöner Gestalt. Er hat schulterlanges schwarzes Haar, das er meist im Nacken zusammengebunden trägt. Er trägt die Kleidung eines Edelmannes. Aber seine ganze gute Erscheinung täuscht: Er hat ein durch und durch verdorbenes Wesen.« Nun waren Amba doch noch Tränen in die Augen getreten, denn ihre Schilderung entsprach ja leider der Wahrheit.
Die andere Frau runzelte die Stirn. »Und wie heißt der Mann?«
»Das weiß ich nicht, Senhora.«
»Ich werde mal nachsehen, ob sich auf der Straße jemand herumtreibt, der deiner Beschreibung entspricht.« Damit trat die junge Frau zu dem Torbogen und streckte ihren Kopf heraus, während sie ihren Körper hinter dem Mauerwerk verbarg. Offensichtlicher hätte ihre »unauffällige« Suche nicht sein können. Amba fühlte sich scheußlich. Der Diamant brannte ihr förmlich ein Loch in die Kleidung, so brennend war sie sich seiner bewusst. Sie musste auf der Stelle fort von hier. Die freundliche Dame schadete ihr mit ihrer Hilfsbereitschaft nur.
»Ich gehe lieber«, sagte Amba und machte sich bereit. Aber die andere Frau hielt sie am Arm zurück. »Warte. Wie heißt du?«
»Amba.«
»Hör zu, Amba, wenn du jemals wirklich Hilfe
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