Der indigoblaue Schleier
brauchst oder einen sicheren Zufluchtsort, dann wende dich an mich. Ich wohne in diesem Haus hier. Mein Name ist Isabel de Matos.«
Amba schluckte. Dann machte sie einen Knicks, bedankte sich artig und suchte das Weite. Erst als sie ihre Sänfte erreichte, außer Atem und mit heftig schlagendem Puls, erlaubte sie sich, über das Geschehene nachzudenken. Der aufregende Einbruch und der Fund des Diamanten traten dabei eindeutig in den Hintergrund.
Isabel de Matos. Miguels Verlobte. Sie war wunderbar. Keine Frage, dass Miguel eine solche Frau ihr vorzog. Isabel war attraktiv und schien das Herz am rechten Fleck zu haben. Sie war mutig. Und ihre Haut war schneeweiß. Letzteres war es, was Amba verzweifeln ließ. Denn damit konnte sie es nicht aufnehmen: mit der europäischen, katholischen Abstammung. Klug, schön und mutig war sie selber. Aber diese Alabasterhaut, die für alles stand, was sie, Amba, nicht besaß, führte ihr deutlicher als alles andere vor Augen, was sie von Miguel trennte.
Sie hasste die andere. Sie bewunderte und beneidete sie. Eine Flut an Gefühlen, die widersprüchlicher nicht hätten sein können, überrollte sie. Bestimmt würde Miguel an der Seite dieses Mädchens sein Glück finden. Und wenn sie ihn nur aufrichtig genug liebte, würde sie ihm dieses Glück gönnen. Isabel wäre ihm eine viel bessere Gefährtin, als sie selbst es je sein konnte. Und natürlich würde Isabel ihm niemals auch nur annähernd so viel Unglück bringen.
Amba war davon überzeugt, dass eine Art Fluch auf ihr lag. Sie hatte immer nur Unglück über diejenigen gebracht, die ihr am nächsten standen. Sie hatte ihren kleinen Bruder einst seinem Schicksal überlassen, als er sie am meisten gebraucht hätte. Sie hatte Nayana ein Leben auf der Flucht zugemutet, das diese nicht verdient hatte. Sie hatte ihren Gemahl viel zu früh verloren, hatte ihre Dienstboten großen Gefahren ausgesetzt und würde womöglich auch Miguel an ihrem schlechten Karma teilhaben lassen. Eigentlich war es besser für ihn, sich nicht mit ihr abzugeben.
Aber so weit ging ihre Selbstlosigkeit nicht. Obwohl sie wusste, dass sie selber Miguel nie würde haben können, gönnte sie ihn nicht der anderen. Die Eifersucht versengte sie, sie schmerzte in ihrer Brust und beeinflusste ihr Denken. Selbstverständlich würde sie trotzdem tun, was sie tun musste. Wenn sie nun auch noch ihren Stolz verlöre, hätte sie gar nichts mehr.
Obwohl – nicht ganz.
Sie holte den kleinen Beutel hervor und umschloss den Diamanten, der sich darin befand, mit der Hand. Er war das Einzige, dachte sie mit Bitterkeit, was in ihrem Leben von Bestand war. Ein Stein.
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55
M iguel war so bald wie möglich zu Ambas Haus geritten, um ihr persönlich zu berichten, was von der Verlobung zu halten war, bevor sie auf anderem Weg davon erfuhr. Er musste ihr sagen, dass der Inquisitor ihn unter Druck gesetzt und gezwungen hatte, sich mit Isabel de Matos zu verloben. Eine Verlobung konnte man lösen. Man konnte die Verlobungszeit länger als üblich hinausdehnen und sich unterdessen eine Lösung einfallen lassen. Das war der einzige Grund gewesen, warum er dem Arrangement zugestimmt hatte. Genauso musste er Isabel bald die vollständige Wahrheit sagen und ihr von Amba erzählen. Sie hatte es nicht verdient, von ihm für seine Zwecke missbraucht zu werden.
Als er jedoch bei Amba angelangt war, war diese nicht zu Hause gewesen. Da Miguel sein Anliegen nicht per Boten übermittelt wissen wollte und ebenso wenig schriftlich, hatte er Makarand nur aufgetragen, seiner Herrin Folgendes auszurichten: Ganz gleich, was ihr über Miguel Ribeiro Cruz zu Ohren kommen sollte, es entspreche nicht der Wahrheit, sie möge ihm vertrauen, sein Angebot gelte nach wie vor.
Er hoffte nur, dass der Bursche die Nachricht nicht verunstaltete, mit Ausschmückungen versah oder eigene Interpretationen hinzudichtete. Miguel war dann wieder zurück zum Solar das Mangueiras geritten und hatte, noch in Gedanken bei Amba und den Gefühlen, die seine angebliche Verlobung in ihr auslösen mochten, dort einen Brief vorgefunden, auf den er sich so wenig konzentrieren konnte, dass sich ihm seine Aussage zunächst nicht entschlüsselte. Erst nach etwa zehnfacher Lektüre gelang es ihm, die Buchstaben zu Worten zu verbinden und diese mit Inhalten zu füllen. Sein Erstaunen und seine Ungläubigkeit wuchsen. Endlich ergab alles einen Sinn. Nun griff Miguel erneut nach den Bögen, die vor ihm auf dem Sekretär lagen.
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