Der indigoblaue Schleier
Er fragte sich, wie er mit der neuen Erkenntnis umgehen sollte.
Mein lieber Schwager Miguel,
Dein Brief erreicht mich zu einer Zeit, die froh und beschwerlich zugleich ist, denn ich trage erneut ein Kind unter dem Herzen. Aber verglichen mit den Schwierigkeiten, denen Du Dich fern der Heimat ausgesetzt siehst, sind meine Sorgen wahrscheinlich klein und belanglos. Wir sprechen oft über Dich, denn Deine Eltern und Bartolomeu lieben und vermissen Dich sehr. Ja, genau so ist es, auch wenn sie Dir vielleicht nie dieses Gefühl vermittelt haben.
Manchmal reicht Dein Scharfsinn eben nicht weit genug.
Leider ist das auch der Fall in der Sache, die Du mir in so schonenden Worten beizubringen versucht hast. Du äußerst Dein Bedauern darüber, dass mein Name schändlich missbraucht wird, und gehst davon aus, dass Bartolomeu derjenige ist, der das Handelshaus Eures Vaters schädigt. Ich darf Dir versichern, lieber Schwager, dass es sich nicht so verhält, wie Du vermutest. Ich weiß von der »Casa Fernandes« in Angola, schließlich bin ich die Besitzerin. Du reibst Dir nun gewiss die Augen und glaubst, Dich verlesen zu haben? Lass Dich aufklären.
Als Bartolomeu und ich heirateten, ging mein ganzer Besitz auf ihn über, wie es unter Eheleuten üblich ist. Allerdings gab es da noch dieses kleine, unwichtige Geschäft in Afrika, das mein Vater einst auf meinen Namen gegründet hatte. Niemand außer mir wusste davon, denn zum Zeitpunkt der Eheschließung war mein armer Vater bereits mit meiner lieben Mutter im Tode vereint. Als einziges Kind meiner Eltern erbte ich Ländereien und Immobilien von hohem Wert, die nun, wie Du weißt, Bartolomeu verwaltet. Ich erbte auch die Casa Fernandes, von deren Existenz ich nie jemandem ein Wort gesagt habe. Ich ahnte schon damals, dass es sicherer sei, etwas zu besitzen, auf das weder der Ehemann noch dessen Familie Anspruch erheben konnten.
Dein Bruder ist kein Heiliger, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich weiß um seine Verfehlungen, und sie schmerzen mich sehr. Versuche einmal, Dich in meine Lage zu versetzen: eine rechtlose Frau, die von ihrem Mann aufs Beschämendste betrogen wird und die nur zwei Möglichkeiten hat, nämlich entweder die Augen zu verschließen vor dem, was der Gatte treibt, oder es ihm heimzuzahlen. Also begann ich, meine eigene kleine Rache zu üben für all die Demütigungen, die Bartolomeu mir angedeihen ließ und lässt. Ich gab einem alten Freund meiner Familie Prokura, so dass dieser die Casa Fernandes leiten konnte. Er ist sehr tüchtig, so dass wir bald ordentliche Gewinne einfuhren. Aber allein das Wissen darum, dass ich etwas besaß, auf das Bartolomeu keinen Zugriff hatte, befriedigte mich nicht. Also sorgte ich dafür, dass ein entfernter, verarmter Cousin von mir eine Stellung bei Ribeiro Cruz bekam, nämlich die als Bewacher der kostbaren Ware aus Indien. Er war als mein Verwandter natürlich über jeden Zweifel erhaben. Er fährt auf den wichtigsten Routen mit und »beschützt« die Säcke mit den teuren Gewürzen – von denen regelmäßig in Angola ein paar verloren gehen. Ich bezahle ihn dafür recht anständig. Zwischen ihm und mir existiert keinerlei schriftliche Korrespondenz, so dass ich auch nicht erpressbar bin. Wenn er mich als Drahtzieherin der Diebstähle beschuldigt hätte, hätte ich immer behaupten können, von nichts zu wissen. Alle wären zu genau demselben Schluss gekommen, zu dem auch Du gelangt bist: dass ich ein armes Opfer sei, ein naives Weib, dessen Name von hinterhältigen Bösewichtern missbraucht wird.
Es tut mir leid, Dich dieser Illusion berauben zu müssen. Es tut mir ebenfalls leid, Dir den Ball zurückwerfen zu müssen, den Du mir zugespielt hast. Du hattest offenbar gehofft, dass ich Dir die Entscheidung abnehme, wie mit der Entdeckung der diebischen Casa Fernandes umzugehen sei. Nun, jetzt bist Du es, der die ganze Wahrheit ans Licht bringen kann oder auch nicht. Ich kann nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass die Fracht aus Indien in Zukunft wieder vollständig in Lissabon eintrifft. Die Casa Fernandes braucht diese Nebeneinkünfte gar nicht. Aber ob Du mich als Schuldige entlarvst, das überlasse ich Dir. Es ist eine schreckliche Wahl, vor die ich Dich stelle, das ist mir durchaus bewusst. Entweder wäschst Du Deinen eigenen Namen rein, ruinierst dafür aber die Ehe Deines Bruders sowie den Familienfrieden, oder aber Du bewahrst Stillschweigen über meine Schuld, räumst dafür aber nie vollständig
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