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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wert. Aber nicht, dass du mit diesem persönlichen Gegenstand Schindluder treibst.«
    »Wo denkst du hin, Cousin?«
    Rujul zögerte kurz, dann gab er das Geheimnis preis. »Es handelt sich nämlich um eine zwar wertlose, aber sehr hübsche Spieluhr. Ich habe sie einst von meiner Mutter geschenkt bekommen, es sind darauf fein geschnitzte hölzerne Figuren bei einem Tanz zu sehen. Diese Holzpuppen sind nicht mehr, was sie einmal waren, denn die Farbe blättert ab und die Tänzerin hat das abgewinkelte Bein verloren, aber ich liebe diese Figur nun einmal. Die kannst du zu dem Heiler mitnehmen. Ich bin sehr gespannt, ob er daraus irgendetwas lesen kann.«
    »Ach, Rujul, ich bete, dass es so ist. Und ich hoffe, dass deine Unschuld möglichst rasch bewiesen wird, denn du siehst mir gar nicht gut aus.«
    »Bring mir beim nächsten Mal ein paar Nüsse und getrocknete Mangos mit, ja? Das würde mir sehr helfen, die Schrecken hier unten zu überstehen.«
    »So, genug geplaudert«, hörten sie auf einmal einen Wachposten sagen, der von beiden unbemerkt an Amba herangetreten war.
    »Aber ja, mein Lieber, versprochen. Nun, du hörst es, ich muss gehen. Auf bald, Rujul, auf bald.«
    »Sei vorsichtig, liebe Cousine.«
    Amba folgte der Wache durch die finsteren Gänge. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie einen Mann in Marathi, der Sprache Maharashtras, schimpfen hörte. Die Wache blieb kurz stehen, sagte etwas auf Portugiesisch zu dem Häftling, doch der konnte ihn nicht verstehen. Nun war Amba froh über das spärliche Licht, das von der Fackel des Wärters ausging. Sie zog sich ihr Tuch noch ein wenig tiefer in die Stirn und trat einen Schritt zurück, so dass der Häftling ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Sie kannte ihn. Sie hätte ihn zwar nicht am Aussehen wiedererkannt, denn er war stark verwahrlost und ausgemergelt, aber die Stimme war ohne jeden Zweifel die ihres Schwagers Chandra. Sie versuchte einen Blick in das Innere der Zelle zu erhaschen, doch es war zu dunkel, und sie befand sich in keiner guten Position. Ihr war, als krümme sich auf dem Boden ein weiterer Mann, aber es hätte ebenso gut ein Bündel Stroh sein können. Chandra lamentierte über das große Unrecht, das ihm und seinem Bruder widerfahren sei, doch der Wärter verstand kein Wort davon. Es hätte ihn auch nicht interessiert, denn es waren dieselben Klagen und Flüche, die beinahe alle Inhaftierten ihm entgegenschrien.
    Wider Willen empfand Amba Mitleid. Sosehr sie ihre Schwäger gefürchtet hatte, so entschlossen diese sie auch verfolgt hatten, dieses Los wünschte sie ihnen nicht. Sie fragte sich, was sie sich hatten zuschulden kommen lassen, doch dann beantwortete sie sich die Frage selber: wahrscheinlich gar nichts, außer fremd in der Stadt zu sein, andersartig, andersgläubig. Das reichte in diesen furchtbaren Zeiten ja schon. Als der Wärter weiterging, folgte sie ihm lautlos. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, über das Schicksal ihrer Schwäger nachzudenken – sie musste ihre eigene Haut retten.
     
    Chandra brüllte dem Wärter in Marathi nach, sie seien nur auf der Durchreise, sie hätten Passierscheine und es handele sich um ein schreckliches Versehen. Doch der Wärter verschwand im Dunkel der Gänge, dicht gefolgt von einer Frau, die Chandra vage an jemanden erinnerte. Als die beiden verschwunden waren, ließ er sich ermattet neben Pradeep sinken.
    »Die werden uns hier verrotten lassen, Bruder. Aus unserer Familie weiß niemand, wo wir stecken, so dass wir von dieser Seite keine Hilfe erwarten können. Und hier kennt uns keiner, ja, es versteht uns ja nicht einmal jemand.«
    Pradeep rollte matt mit dem Kopf. Er hatte diese Worte schon zu oft gehört und sich mit ihrer Wahrheit längst abgefunden. Er war krank und schwach. Er wusste, dass das Ende nah war. Und er würde die letzten Tage in diesem Leben nicht mit Wutgeheul oder Schimpftiraden verbringen. Er würde seine
pujas
verrichten, würde in den Andachten und im Zwiegespräch mit Shiva, dem Gott der Zerstörung und der Schöpfung, Frieden finden. Trotz der katastrophalen hygienischen Zustände hier unten würde er versuchen, die Reise in seinen nächsten Daseinszustand in körperlicher und seelischer Reinheit anzutreten.
    Chandra jedoch hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wieder und wieder wälzte er die Ereignisse in seinem Kopf hin und her, um den Fehler zu finden, den sie begangen hatten. Sie waren so nah daran gewesen, diesem Teufel mit dem

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