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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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selber nicht in sich vermutet hätte. Und jetzt war eine solche Situation eingetreten. Frei Martinho, den er nach dem vormaligen Streit hatte besänftigen und für den er weiter hatte tätig sein können, hatte ihn zur Rede gestellt. Von dem Handel mit gefälschten Reliquien über die Vergewaltigung unschuldig Verhafteter bis hin zu seinem Bastard im Waisenhaus – der Mann kannte fast alle Sünden, deren er, Carlos Alberto, sich je schuldig gemacht hatte. Die meisten Vorwürfe hatte er entkräften können, andere Vergehen hatte er in ihrer Schwere herunterspielen können. Aber was zum Teufel sollte er mit dem Kind anstellen? Der Junge, der ihm angeblich unglaublich ähnlich sah, war der lebende Beweis für eine Sünde, die Frei Martinho ihm niemals würde verzeihen können, er, der Retter und Wohltäter der Minderjährigen, ha! Die einzige Lösung, die Carlos Alberto einfiel, um seinen eigenen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, war, das Kind zu töten. Ohne Junge kein Beweis.
    Zu demselben Zeitpunkt, da Carlos Alberto diesen Entschluss fasste, sollte in einer Wohnung gar nicht weit von der seinen entfernt ein neues Leben das Licht der Welt erblicken. Seit mehr als zwanzig Stunden quälte Maria sich nun schon, sie war nass geschwitzt und bleich, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und sie war völlig ermattet. Bei ihr befanden sich Isabel sowie zwei Inderinnen, eine davon eine versierte Hebamme, die andere eine Magd, die selber schon elf Kinder zur Welt gebracht hatte.
    Isabel hatte die Nachricht, dass die Niederkunft ihrer Freundin bevorstand, in Miguels Haus erreicht. Sie war froh gewesen, einen so guten Vorwand geliefert zu bekommen, um sofort aufzubrechen. Und sie war dankbar für die Ablenkung. An Marias Seite, ihr schreckliches Stöhnen in den Ohren und ihren erbarmungswürdigen Anblick vor Augen, erschien ihr die eigene Lage plötzlich viel rosiger. Einen Mann an eine andere zu verlieren war bei weitem nicht so entsetzlich wie all das hier. Sie beschloss, dass sie niemals Kinder haben würde.
    Als ein runzliges Etwas nach weiteren sechs Stunden endlich Marias Leib verließ, waren alle vier Frauen überglücklich. Sie umarmten sich weinend, wobei die Tränen mehr von ihrer Erschöpfung herrührten als von der Freude. Maria Nunes war nun stolze Mutter eines kleinen Mädchens, das sie, zu Ehren der Geburtshelferinnen, Isabel Lakshmi Sita nennen wollte. Was der abwesende Ehemann davon halten mochte, darüber konnte sie sich nun beim besten Willen keine Gedanken mehr machen. Kaum hatte sie mit roten Wangen den Namen des Mädchens verkündet, fiel sie in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf. Isabel betrachtete das abgezehrte, aber glückliche Gesicht ihrer Freundin und wusste, dass für diese alles gut werden würde.
    Nachdem die kleine Isabel Lakshmi Sita versorgt worden war, begaben die drei Namenspatroninnen sich auf den Heimweg. Isabel hatte es nicht weit, und sie freute sich auf ihr Bett. Es war früher Abend, und es waren noch viele Leute auf den Straßen, so dass sie keine Furcht hatte, ohne Begleitung nach Hause zu gehen. Sie genoss die milde Luft und das schöne Licht der Dämmerung, als ihr plötzlich ein Kind zurief: »Tante Isabel! Hilfe, hilf mir!«
    Sie erkannte, dass es sich um eines der Kinder aus dem Waisenhaus handelte; Paulo war, wenn sie sich nicht sehr täuschte, sein Name. Sie war einen Augenblick ratlos, denn das Kind wurde von einem Mann über den Gehweg gezerrt, der ihm sehr ähnlich sah und in dem sie den Vater vermutete. Sie entschloss sich dennoch, einzugreifen.
    »He, was fällt Euch ein? Was macht Ihr mit dem Jungen?«, trat sie auf den Mann zu.
    »Was geht es Euch an? Er ist mein Sohn.«
    »Hilf mir, Tante Isabel!«, rief das Kind erneut mit tränenerstickter Stimme. »Ich will nicht mit dem Mann mitgehen. Er ist böse!«
    Das schien Isabel allerdings auch so. Der Kerl verpasste dem Kind eine Ohrfeige und sah es mit Mordlust in den Augen an.
    »Das Kind kenne ich aus dem Waisenhaus. Wieso fällt Euch jetzt plötzlich ein, Ihr könntet der Vater sein?« Isabel stellte sich dem Finsterling entschlossen in den Weg. Er schlug nach ihr, erregte damit jedoch die Aufmerksamkeit einiger Passanten, die sich nun ebenfalls einmischten.
    Es kam zu einem Tumult, und Carlos Alberto musste einsehen, dass sein Vorhaben gescheitert war. Er würde sich zwar durchsetzen und den Jungen mit sich schleifen können, aber seinen Plan würde er nicht mehr ausführen können. Es gab einfach zu viele

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