Der indigoblaue Schleier
Kerker umzugehen verstand als Makarand, der wahrscheinlich in der Hochzeitsnacht unbeholfen und gierig über sie herfallen würde. Aber zugleich konnte sie sich keinen jungen Mann vorstellen, der Anuprabha so auf Händen tragen und ihre Launen so gelassen hinnehmen würde wie Makarand. Sie würden eine gute Ehe führen, da war Amba sich sicher.
Makarand hatte sich bei dem Kaufmann im Dorf längst unentbehrlich gemacht. Er hatte dank seines Verhandlungsgeschicks auch einen höheren Lohn für sich herausgehandelt, so dass er bald in der Lage wäre, eine eigene Bleibe für sich und die zukünftige Gemahlin zu bezahlen. Amba hatte keinen Zweifel daran, dass Makarand, wenn er weiter so tüchtig arbeitete, eine schöne Karriere machen konnte. An Handelshäusern, in denen er sein Talent gewinnbringend einsetzen konnte, herrschte in Goa kein Mangel. Und für den nötigen Ehrgeiz würde schon Anuprabha mit ihren extravaganten Wünschen sorgen. Eines Tages wäre Anuprabha eine dicke, nörgelige, reiche und angesehene Ehefrau, so wie etwa die Gemahlin von Rujul es gewesen war.
Rujul!, dachte Amba plötzlich mit Grauen. Der arme Mann schmorte weiter da unten im Verlies, während sie hier Zukunftspläne für sich und ihre Nächsten schmiedete. Er hatte ihr das Versteck des Diamanten verraten, und ihm stand dafür noch eine große Summe Geldes zu. Sie konnte ihn doch nicht einfach dort verrotten lassen! Sie musste sich etwas einfallen lassen, um ihn aus dem Kerker zu holen, was erfahrungsgemäß am einfachsten mit Geld zu bewerkstelligen war. Sie selber wollte nicht mehr dorthin gehen, und ebenso wenig wollte sie einen ihrer Diener schicken. Nach Anuprabhas Erlebnissen konnte sie das keinem zumuten. Miguel mochte sie ebenfalls nicht mehr um seine Mithilfe bitten. Den Dorfpfarrer vielleicht? Amba hatte den Eindruck, dass es sich bei ihm um einen gutherzigen und verständigen Mann handelte, der ihr vertrauenswürdig erschien. Doch mit welchem Recht wollte sie ihn abermals um einen Gefallen bitten? Er hatte bereits Jyotis Stelle besorgt, obwohl Amba gewiss kein vorbildliches Mitglied seiner Gemeinde war, und sich bereit erklärt, Makarand und Anuprabha zu trauen, die er kaum je in seiner Kirche gesehen hatte. Ob sie eine schöne Marienstatue oder ein besonders ausgefallenes Altarkreuz für ihn fertigen lassen sollte, damit es nicht allzu offensichtlich nach Bestechung aussähe? Ja, das würde ihm gefallen, dem Padre.
Gleich am nächsten Tag suchte Amba den Padre auf. Es war ein junger, etwas beleibter Mann mit weichlichen Zügen.
»Dona Amba, wie schön, Euch wieder hier zu sehen. Was führt Euch hierher? Sicher die bevorstehende Hochzeit Eurer beiden Schützlinge?«, begrüßte er sie. Er lächelte sie aufmunternd an und entblößte dabei eine Reihe sehr schiefer Zähne, die ihn irgendwie noch sympathischer wirken ließ.
»Diesmal ist es etwas anderes, Padre. Um genau zu sein, es sind zwei Dinge, die ich mit Euch besprechen möchte. Habt Ihr einen Moment Zeit?«
»Aber ja, meine Liebe, aber ja. Nehmt Platz. Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten? Eine Ingwer-Limonade vielleicht? Meine Haushälterin hat sie gerade frisch zubereitet.«
»Sehr gern, danke.«
Als die Haushälterin die Gläser vor ihnen abstellte und sie aus einem Tonkrug füllte, schwieg Amba. Sie hatte nicht gern Zuhörer. Erst als die ältere Frau sich entfernte, trug sie dem Padre ihr Anliegen vor.
»Ihr kümmert Euch gut um die Mitglieder Eurer Gemeinde, auch um solche wie mich und die meinen, die wir, gelinde gesagt, nicht gerade strenggläubig sind. Euer Einsatz für mein Hausmädchen Jyoti sowie Eure hilfreichen Vorschläge zur Gestaltung der Hochzeit von Makarand und Anuprabha haben mich sehr erfreut. Ich möchte Euch beziehungsweise unserer Kirche zum Dank dafür eine Marienstatue stiften. Oder ein schönes Altarkreuz. Oder was auch immer Ihr Euch für die Kirche wünscht. Ich wollte nicht einfach etwas in Auftrag geben, sondern lieber erst Euch dazu befragen. Sagt, Padre, gibt es etwas, das Ihr Euch schon immer für unser – Euer – Gotteshaus gewünscht habt?«
Der Pfarrer war nicht dumm. Hinter seinen runden Formen und seinem weichen Gesicht verbarg sich ein kluger Geist, und er konnte sich vorstellen, was nach diesem großzügigen Angebot auf ihn zukäme. Er schaute Amba, die zum Zeichen ihrer Hochachtung den Schleier vor ihrem Gesicht gelüftet hatte, tief in die Augen und sagte: »Ihr könnt mir auch gleich Eure Bitte vortragen. Wenn
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