Der indigoblaue Schleier
fühlst.«
»Hm.« Miguel zog die Augenbrauen hoch und gab Isabel damit zu verstehen, dass er ihre Verdächtigungen als unangemessen betrachtete. Eigentlich aber versuchte er nur, Zeit zu schinden. Die Tatsache, dass Amba und Isabel einander begegnet waren, ja sogar miteinander gesprochen hatten, gab ihm sehr zu denken. Wieso zum Beispiel sprach Isabel von »Amba« und nicht von »Dona Amba«? Handelte es sich vielleicht in Wirklichkeit um eine ganz andere Frau, die zufälligerweise denselben Namen trug und grüne Augen hatte? Die Wahrscheinlichkeit war verschwindend gering. Dass diese Frau nun auch noch eine Beschreibung von ihm geliefert haben sollte, erschien Miguel derart abwegig, dass er die Idee wieder verwarf. Nein, es musste sich um »seine« Amba gehandelt haben. Was hatte sie überhaupt im Durchgang von Isabels Haus verloren gehabt? Sie weigerte sich doch sonst immer, ihre zarten Füßchen mit dem Schmutz der Straße in Berührung kommen zu lassen.
»Was heißt ›hm‹?«, forschte Isabel nach.
»Es heißt«, entgegnete Miguel, »dass ich nicht deiner Meinung bin. Unsere Verlobung ist eine Farce, das weißt du so gut wie ich, und du hast nicht das Recht, mich zu behandeln wie einen untreuen Ehemann. Allerdings«, räumte er ein, »möchte ich dir etwas erzählen, was du wissen solltest.«
Isabel war sehr gespannt. Die Bemerkung, ihre Verlobung sei eine Farce, hatte ihr wehgetan. Natürlich hatte sie sich spröde gegeben und mit Miguel darin übereingestimmt, dass sie weiterhin als Freunde, nicht aber als Liebende miteinander Umgang pflegen sollten. Und ja, sie hatte ihm von Anfang an deutlich gemacht, dass sie an einer Eheschließung kein Interesse hatte. Aber das lag Monate zurück, die Umstände hatten sich geändert. Und auch ihre Gefühle für Miguel. Selbstverständlich würde sie ihm das niemals offenbaren, solange von ihm keine entsprechenden Signale kamen.
»Ja?«, fragte sie daher nur.
»Komm doch erst einmal mit in den Salon. Ich habe vorhin ein paar neue Möbel bekommen, wir können sie gemeinsam einweihen.«
Sie folgte ihm und nahm auf einem Stuhl Platz, der indische Handwerkskunst mit europäischem Geschmack verband. »Es sind sehr hübsche Möbel«, erwähnte sie, um die Spannung aus ihrem Gespräch abzufedern. »Woher hast du sie?«
»Ein Tischler aus dem Nachbardorf hat sie angefertigt. Er ist ein sehr begabter Schnitzer, und sieh mal hier«, damit deutete er auf das Muster einer Rückenlehne, »hier hat er ein paar traditionelle indische Motive geschickt in den Blütenornamenten versteckt.«
Isabel heuchelte Interesse und beugte sich über besagte Lehne. Sie kam Miguel dabei sehr nah, und diese Nähe ließ ihr Herz rasen. Sie konnte seinen maskulinen Duft riechen und seinen Atem hören. Es war zu viel. Schnell trat sie einen Schritt zurück.
Isabel ließ sich auf die neue Polsterbank fallen und holte tief Luft. Miguel bot ihr einen Likör an, den sie dankend akzeptierte. Dann, als auch er endlich saß und an seinem Glas nippte, trafen sich ihre Blicke. Beide schauten sofort verlegen in eine andere Richtung.
»Also los, Miguel Ribeiro Cruz, was hast du mir zu beichten? Du brauchst kein Blatt vor den Mund zu nehmen.« Isabel sah ihn herausfordernd an.
»Nun, Isabel de Matos, es würde mir schmeicheln, wenn es dir nicht gefiele. Meine größte Hoffnung ist die, dass das, was ich dir nun berichte, dich gleichgültig lässt.«
»Wenn es sich um Herzensdinge handelt, wird es mich kaltlassen, das weißt du doch«, log Isabel.
»Umso besser. Also …« Miguel nahm noch einen Schluck von seinem Likör, holte tief Luft und klärte Isabel auf. »Dass der Inquisitor gern eine Eheschließung zwischen uns beiden sähe, ist dir bekannt. Dass ich mich darauf einlassen musste, weißt du ebenfalls. Und dass eine Verlobung im Augenblick auch für dich gewisse Vorteile hat, wie etwa den, dass man dich nicht schief ansieht, ließ es sinnvoll erscheinen, die ganze Sache durchzuziehen. Nun verhält es sich aber so, dass ich eine andere liebe.« Miguel hielt kurz inne, denn er bemerkte, dass Isabels Augen sich erschrocken geweitet hatten. »Falls ich dich mit meinen Bekenntnissen kränken sollte, bitte ich schon jetzt um Verzeihung. Ich liebe auch dich, Isabel, aber eher so, wie man eine Schwester liebt. Diese alles verzehrende Glut in meinem Innern, die spüre ich bei dir nicht. Ich habe sie auch nie zuvor empfunden. Erst hier in Indien habe ich erstmals die Liebe kennengelernt. Vorher verstand
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