Der indigoblaue Schleier
ich nie, wovon die Dichter da faselten, was die Sänger besangen oder welche Macht von Männern wie Frauen Besitz ergriff, dass sie ihren Verstand aussetzen und einzig das Herz sprechen ließ.«
Isabel schaute Miguel nachdenklich an. Sie nippte an ihrem Glas und gab ihm durch ein Nicken zu verstehen, er möge fortfahren.
»Jetzt erst verstehe ich es. Denn ich habe mich verliebt. In eine Inderin. Sie heißt Amba.«
»Soll das heißen …«, unterbrach Isabel ihn.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um dieselbe Frau handelt, die du in der Stadt getroffen hast. Amba entstammt einer hohen Kaste und zeigt dies auch. Sie lässt sich in einer Sänfte herumtragen, sie zeigt sich niemals unverschleiert in der Öffentlichkeit, und ihre Herablassung grenzt oft ans Beleidigende. Dass sie sich in eurem Hausdurchgang herumdrückt, erscheint mir völlig abwegig. Wie sah denn die Amba von gestern aus?«
»Sie war schlicht gekleidet. Sie trug keinen Schleier, denn sonst hätte ich ja nicht sehen können, was sie für eine Schönheit ist, mit diesen unglaublichen grünen Augen. Ich habe sie geduzt, und sie gab sich wie eine Dienstmagd, unterwürfig irgendwie.«
»Vielleicht war sie es, und sie tarnte sich nur als eine einfache Frau?«, mutmaßte Miguel.
»Schon möglich. Aber nun erzähl weiter von deiner großen Liebe.«
»Die Amba, die ich meine, lässt sich überall Dona Amba nennen. Sie ist verheiratet. Ihr Mann ist aber praktisch nie daheim. Ich bin … wir sind einander nähergekommen, als ich in ihrem Haus von der Cholera genas. Man hat mich dort gesund gepflegt. Ich bin sicher, dass ich, wenn ich hiergeblieben wäre und meine Dienstboten die Anweisungen des portugiesischen Arztes befolgt hätten, nicht mehr am Leben wäre. Ich habe um Ambas Hand angehalten und sie um die Trennung von ihrem Mann gebeten. Allerdings hat sie mich bisher nicht erhört, obwohl ich mir sicher bin, dass sie meine Liebe erwidert. Zur Not würde ich auch mit ihr durchbrennen. Sie ist die Einzige, die ich jemals wollte, will und wollen werde. Ich bin mir dessen so sicher, wie ich mir nie einer Sache sicherer gewesen bin.«
»Du törichter Kerl! Die Frau hat mehr Verstand als du. Wie stellst du dir das vor? Sie ist verheiratet. Sie ist von anderer Herkunft und Hautfarbe als du. Hast du jemals an die armen Kinder gedacht, die einer solchen Verbindung entspringen würden? Sie wären Mischlinge, Miguel, und als solche ihr Leben lang allen möglichen Vorurteilen und Benachteiligungen ausgesetzt.«
»Nein, das wären sie nicht. Das passiert nur mit den unehelichen Kindern, die von ihren Vätern nicht als leibliche Nachkommen anerkannt werden. Stünde man zu ihnen, würde man ihnen eine gute Erziehung und viel Liebe angedeihen lassen, wie es sich für verantwortungsvolle Eltern gehört, dann würden aus ihnen ganz normal akzeptierte Mitglieder der Gesellschaft.«
»Ich glaube, du machst dir da etwas vor, Miguel.«
»Und ich glaube, dass ich nicht anders kann. Ich muss es versuchen.«
»Was hält
Dona Amba
denn von deiner Verlobung?«, fragte Isabel spitz und mit sarkastischer Betonung des Namens der Rivalin. Es fiel ihr schwer, die Contenance zu wahren. Am liebsten hätte sie laut geheult wie ein Kind. Aber diese Blöße mochte sie sich vor Miguel nicht geben.
»Ich konnte ihr noch nicht davon erzählen. Ich muss das so schnell wie möglich tun, bevor sie es von anderer Seite erfährt und in den falschen Hals bekommt.«
»Vielleicht hat sie es bereits erfahren. Und nun plant sie irgendetwas, bei dem du nachher als der Schuldige dastehst. Warum sonst sollte sie sich in einer Art Verkleidung in der Stadt aufhalten und mir, einer Fremden, erzählen, dass ein Mann mit deinem Aussehen ihr nachstellt?«
Miguel dachte kurz über Isabels Einwand nach. Aus dieser Perspektive hatte er es nie betrachtet. Ja, genau so musste es sich verhalten, dann ergäbe alles einen Sinn. Er stöhnte innerlich auf bei der Vorstellung, was Amba nun von ihm halten mochte. Hatte er es sich jetzt endgültig mit ihr verscherzt? Und was, wenn sie ihm diesen vermeintlichen Verrat heimzahlen wollte? Eine Frau mit Ambas Intelligenz hätte er nicht gern als Widersacherin.
»Sieh dich vor«, raunte Isabel ihm zu, »sieh dich vor, Miguel Ribeiro Cruz.«
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56
C arlos Alberto Sant’Ana war niemand, der schnell den Kopf verlor. Gerade in Situationen, in denen es brenzlig wurde, in denen er schon mit dem Rücken zur Wand stand, konnte er Kräfte mobilisieren, die er
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