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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Aufseher in regelmäßigen Abständen das Fortschreiten der Gärung überprüfen, indem er Geschmack, Farbe und Geruch der Flüssigkeit untersuchte. Erklärte er den Gärungsprozess für beendet, und dabei kam es auf den exakten Zeitpunkt an, um nicht die Ausbeute zu ruinieren, wurde die blau schäumende Flüssigkeit aus der Grube in die nächste, tiefer gelegene Grube abgelassen.
    Dort, in der Schlagküpe, standen die Frauen und Mädchen bereit, um auf die Lauge einzudreschen und ihr so Sauerstoff unterzumischen. Dadurch sonderte sich der begehrte Farbstoff ab und fiel als flockiger Brei auf den Boden der Küpe. Die verbleibende Flüssigkeit wurde erneut in eine tiefer gelegene Küpe abgelassen, der Brei in großen Bottichen gekocht und wieder gefiltert. Die so erhaltene Masse presste man aus, schnitt sie in Stücke und brachte sie dann in das Trockenhaus.
    Dort stand Amba an diesem heißen Tag und begutachtete die blauen Quader, die man später in gleich große Platten schnitt und für die man in Europa ein Vermögen bezahlte. Ein so leuchtendes, tiefes Blau konnte man aus den Färberwaid-Pflanzen des Abendlandes nicht gewinnen, hatte man ihr erklärt. Ihr sollte es nur recht sein. Der Profit war enorm, und er hätte noch größer sein können, hätte sie nicht darauf bestanden, für erträgliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es war ein ewiger Streitpunkt zwischen dem Verwalter und ihr.
    »Ihr verwöhnt die Leute. Wenn sie zu gut bezahlt werden, kommen sie am nächsten Tag nicht zur Arbeit«, warf er ihr vor.
    »Wenn sie hungrig und müde auf die Felder kommen, leisten sie nichts«, war ihre immer wiederkehrende Erwiderung.
    Und es war ja nicht so, als könnten die Leute von ihrem Lohn in Saus und Braus leben. Sie zahlte gerade mal eine Rupie mehr am Tag als andere Plantagenbesitzer, was immer noch wenig genug war. Aber sie setzte mehr Kinder ein, die die Leute mit Wasser versorgten, und sie genehmigte ihnen eine Viertelstunde länger Pause, als sie andernorts gehabt hätten. Auch erlaubte sie ihnen, diese Pause im Schatten der Tamarinden zu verbringen.
    Bei der Ernte wie bei der Gewinnung von Indigo kam es auf Schnelligkeit an, so dass sie Trödelei nicht duldete. Aber eine Schinderei, wie sie sie am eigenen Leib erfahren hatte, wollte sie keinem anderen Menschen auf Erden zumuten. Natürlich wusste sie, dass ihre wenigen Besuche auf der Plantage nicht verhindern konnten, dass der Verwalter während ihrer Abwesenheit seine eigenen Regeln durchsetzte. Die meisten Arbeiter hatten zu viel Angst vor ihm, um ihr seine Verfehlungen zuzutragen. Aber eine der Arbeiterinnen, Manasi, nahm Amba gegenüber kein Blatt vor den Mund, so dass sie immer auf dem Laufenden war. Und so wusste sie, dass sie es mit dem Verwalter, Rupesh, schlechter hätte treffen können. Auch wenn er sich gern über ihre Anweisungen hinwegsetzte, so war er doch ehrlich genug, den Leuten ihren vollen Lohn auszuzahlen. Auch hatte er nichts Grausames in seinem Wesen. Im Übrigen war er genau wie jeder andere daran interessiert, seine Position halten zu können, die gut bezahlt und angenehm war, weil ihm nicht ständig der Plantagenbesitzer im Nacken saß.
    Amba verließ das Trockenhaus und blieb unter einem mit Palmblättern gedeckten Vordach stehen. Die Hitze im Innern des Hauses war ihr so unerträglich erschienen, dass sie geglaubt hatte, im Freien müsse es besser sein. Aber das war es nicht. Es ging nicht der leiseste Wind. Die heiße Luft wog so drückend auf ihr, dass ihr sogar das Atmen schwerfiel. Es roch nach Staub, und in der Ferne, wo ein bereits abgeerntetes Feld umgepflügt worden war und nun nackt in der Sonne lag, spiegelte sich die Luft. Wie konnte es kurz nach der Regenzeit bereits so trocken sein? War das immer schon so gewesen? Oder hatte die Küstennähe ihres Hauses in Goa sie das unerbittliche Klima im Landesinnern vergessen lassen?
    »Es ist außergewöhnlich heiß für die Jahreszeit«, sagte nun Rupesh, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Hier, nehmt.« Damit reichte er ihr einen Becher mit Ingwertee, nach dem er einen der Wasserjungen zuvor geschickt hatte.
    Dankbar nahm Amba den Becher entgegen. Doch als sie den Schleier anhob und das Gefäß zum Mund führen wollte, spürte sie Rupeshs neugierigen Blick. Sie wandte sich ab, um zu trinken.
    »Ihr seht, Ambadevi, die Ernte ist in diesem Jahr sehr reich ausgefallen. Ich denke, das wird Euren Gemahl erfreuen«, sagte der Verwalter, um über seine unschickliche Neugier

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