Der indigoblaue Schleier
unglücklich aufgekommen, dass er sich am Bein verletzt hatte. Er versuchte aufzustehen, doch er knickte sofort wieder ein. Wenn nur nichts gebrochen war! Vorsichtig tastete er seinen Knöchel ab, der bereits anschwoll.
Verflucht! Er hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt für einen Sturz aussuchen können. Die wenigen Menschen, die in der Mittagszeit überhaupt auf der Straße unterwegs gewesen waren, hatten sich in Sicherheit gebracht, so dass so bald nicht mit Hilfe zu rechnen war. Und das Gewitter wütete immer heftiger. Miguel versuchte erneut, sich aufzurappeln, doch wieder misslang es ihm. Er würde wohl oder übel hier auf der Erde liegen bleiben und abwarten müssen, bis das Unwetter vorbeigezogen war. Zum ersten Mal seit Wochen war er froh über die Hitze – bei Kälte im Matsch liegen zu müssen wäre noch übler gewesen.
Das Pferd stand ein paar Schritt von ihm entfernt und zuckte nervös zusammen, wenn wieder ein Blitz über den Himmel fuhr oder ein Donner zu hören war. Wenn er es nur schaffen könnte, dem Pferd Scheuklappen aufzusetzen, es anzubinden und sich unter den Bauch des Tieres zu retten, der wenigstens ein bisschen Schutz vor dem Wetter bot! Miguel biss die Zähne zusammen und stieß sich mit den Armen vom Boden ab. Es gelang ihm tatsächlich, eine aufrechte Position einzunehmen. Nun musste er nur noch auf dem gesunden Bein zu seinem Pferd humpeln, was angesichts des bereits von Schlammbächen durchzogenen Wegs nicht so einfach war. Er hatte das Pferd beinahe erreicht, als er mit dem Stiefel in einer lehmigen Pfütze kleben blieb. Er konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel der Länge nach hin. Miguel fluchte aus vollem Halse. Wenn ihn jetzt einer sähe, wie er auf allen vieren im Schlamm kniete, von Kopf bis Fuß verdreckt und irre Verwünschungen ausstoßend – man würde ihn schnurstracks in die Obhut der Nonnen geben, die in der Hauptstadt die Verwahranstalt für Schwachsinnige leiteten.
Er robbte zu dem nächsten Baum, um sich daran hochzuziehen. Als er endlich den Baum erreicht und sich wieder aufgerichtet hatte, bemerkte er, dass sich eine Kutsche langsam durch den Schlamm quälte. Sie kam auf seiner Höhe zum Stehen.
»Benötigt Ihr Hilfe, Senhor?«, fragte der Fahrer in gebrochenem Portugiesisch.
Miguel war versucht, eine launige Antwort zu geben.
Nein, besten Dank auch, es gehört zu meinen bevorzugten Beschäftigungen, mich mitten im Gewitter im Matsch zu wälzen.
Doch er riss sich zusammen und nickte.
»Mein Pferd hat gescheut und mich abgeworfen. Ich bin verletzt.«
Aus dem Innern der Kutsche hörte Miguel eine Frauenstimme, die dem Fahrer und dessen jungem Gehilfen in Konkani Anweisungen gab. Die beiden Männer stiegen ab, wussten jedoch nicht, was zu tun war. Erneut hörte man die Frau, deren Stimme nun leicht ungehalten klang. Daraufhin ging der Fahrer zu dem Pferd, nahm es bei den Zügeln und führte es zu der Kutsche. Er band es am hinteren Teil des Gefährts fest. Der jüngere Mann bewegte sich unwillig zu Miguel und reichte ihm einen Arm. Miguel erkannte, dass er es als unter seiner Würde empfand, im strömenden Regen einem Wildfremden, der von Kopf bis Fuß verdreckt war, behilflich zu sein. Aber auf solche Befindlichkeiten konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er stützte sich auf den Mann und humpelte an seiner Seite zu der Kutsche. Die Tür öffnete sich, ein blau verschleierter Kopf lugte heraus.
Dona Amba!
»Nehmt meine Hand. Ich werde Euch ziehen, und meine unfähigen Burschen werden Euch anschieben.«
Miguel war außerstande, etwas zu antworten. Die samtige Stimme der Frau, ihre zarte kleine Hand, die sie ihm entgegenstreckte, sowie die Aussicht, gleich auf engstem Raum neben ihr zu sitzen – das alles erschien ihm so unwirklich, dass er für einen Moment außerstande war, sich zu rühren.
»Worauf wartet Ihr noch? Wollt Ihr, dass wir anderen auch alle so durchnässt werden? Auf!«
Miguel reichte ihr die schlammige Hand. Mit einem Griff, der viel fester war, als es die zarten Finger vermuten ließen, umschloss Amba sein Handgelenk. Sie gab ihren Leuten einen scharfen Befehl, und gemeinsam gelang es ihnen, Miguel in die Kutsche zu bugsieren.
Sowohl der Schmerz in seinem verletzten Bein als auch die verwirrende Präsenz dieser Frau hatten ihn all seiner Geistesgegenwart beraubt. Außerdem schämte er sich. Er hatte das Innere des Gefährts derartig besudelt, dass die Flecken wohl kaum noch zu entfernen wären. An dem Sari von
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