Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
deren er sich überhaupt nicht schuldig gemacht hatte. Und dass er sich auf dem Schiff mit Carlos Alberto angefreundet hatte, war kein Geheimnis. So zählten die Leute zwei und zwei zusammen – und kamen auf fünf. Miguel musste dringend etwas unternehmen. Denn er wollte nicht schon wieder für die Vergehen eines anderen Mannes den Kopf hinhalten müssen.
    Er war versucht, sofort sein Pferd satteln zu lassen und in die Stadt zu preschen, um Carlos Alberto zur Rede zu stellen. Doch er besann sich eines Besseren. Er würde raffinierter zu Werke gehen müssen, wenn er Carlos Alberto das Handwerk legen wollte. Es wäre klüger, in Ruhe nachzudenken. Außerdem sollte er zunächst Dona Assunção aufsuchen, die ihm bestimmt mehr Details berichten konnte. Und dass sie die Wahrheit geschrieben hatte, davon war er überzeugt. Warum sollte sie, so kurz vor ihrer Abreise nach Portugal, noch lügen, intrigieren oder falsch spielen? Das hatte sie gar nicht nötig. Im Übrigen freute er sich auf ein Wiedersehen mit der Familie. Delfina, Sidónio und Álvaro würden ihm sicher Neuigkeiten über den Bräutigam erzählen können und ihn mit ihrem schamlosen Geplänkel auf andere Gedanken bringen. Gleich morgen früh würde er zu ihnen reiten und erst danach entscheiden, wie er mit Carlos Alberto verfahren sollte.
    Zunächst jedoch galt es, eine lästige Pflicht zu erledigen. Er ließ sich Feder und Tinte bringen und machte sich daran, einen Brief an seine Familie zu schreiben. Er erging sich in farbenfrohen Schilderungen der Gewürzplantage und anderer Belanglosigkeiten und hoffte, dass der Ton seines Schriebs leicht und fröhlich war und seinen Verwandten den Eindruck vermittelte, dass er hier in Goa ein sorgenfreies Leben fern aller moralischen Prüfungen führte.
    Bis zu diesem Nachmittag hatte er das selbst noch geglaubt.

[home]
14
    E s roch nach Regen. Man meinte, die heiß-feuchte Luft des herannahenden Gewitters förmlich mit Händen greifen zu können, obwohl ein kräftiger Wind wehte, der bedrohliche Wolkentürme über den Himmel jagte. Der Monsun war längst vorüber, doch ein verspäteter Regenschauer schien das eintönige schöne Wetter der Trockenzeit noch einmal unterbrechen zu wollen.
    Als Miguel das Dorf passierte, bemerkte er die ängstlich gen Himmel gerichteten Blicke der Bewohner. Sosehr sie Regen schätzten, so sehr fürchteten sie doch seine Ankunft zur Unzeit. Wenn die noch jungen Pflänzchen auf den Feldern abknickten oder wenn zum Trocknen ausgelegte Lebensmittel von Fäulnis befallen wurden, wäre der Regen verheerend. Der junge Mann grüßte die Leute mit einem ernsten Nicken, von dem er hoffte, es spräche daraus eine angemessene Besorgnis. Doch als die Kinder wieder lachend hinter seinem Pferd herliefen, konnte Miguel sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Kurz nach dem Dorf fielen die ersten dicken Tropfen. Kräftige Böen ließen die Palmen wanken und laut rauschen, vertrieben jedoch nicht die Schwüle. Miguel wischte sich den Schweiß von Oberlippe und Stirn, was angesichts des Regens völlig sinnlos war. Die Luft erschien ihm zu dick zum Atmen. Gottlob hatte er es nicht allzu weit. Er gab seinem Pferd die Sporen, damit sie mit ein wenig Glück noch bei den Mendonças ankamen, bevor das Donnerwetter losbrach und die Wege aufweichte. Doch schon wenig später hatte der Himmel sich so sehr verdunkelt, dass man meinte, die Nacht bräche herein. In der Ferne sah Miguel Blitze, der Regen wurde stärker. Er hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, so dass eine Umkehr sich nun nicht mehr lohnte.
    Obwohl Miguel die Klimaverhältnisse in Goa kannte, wunderte er sich jedes Mal aufs Neue, wie schnell das Wetter umschlagen konnte. Im einen Moment noch der schönste Sonnenschein, im nächsten das heftigste Tropengewitter. Nun, er würde einfach zügig weiterreiten. Bei den Mendonças machte es nichts, wenn er durchnässt und erschöpft eintraf. Álvaro hatte in etwa seine Statur, so dass er ihm trockene Kleidung würde leihen können, und wenn es ganz arg kam, würde er auch bei ihnen übernachten können.
    In diesem Augenblick krachte ein Donner wie ein Peitschenhieb neben ihm nieder. Es war ein so kurzer und unglaublich lauter Knall, dass plötzlich das Pferd, das bislang tapfer das Wetter ignoriert hatte, scheute. Miguel war darauf nicht gefasst gewesen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, und schon war es passiert: Er stürzte zu Boden. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn. Offenbar war er so

Weitere Kostenlose Bücher