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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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eingetroffen.«
    »Ah. Und Ihr weilt hier in geschäftlichen Angelegenheiten, nehme ich an?«
    »Ja.« Miguel sah Dona Amba an, als hoffte er, mit seinen Blicken den Schleier vor ihrem Gesicht zu durchdringen. Es störte ihn, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Augen man nicht sehen konnte, und entsprechend lustlos war er, ausführlicher zu antworten. Vielleicht war das gemeinsame Schweigen doch nicht so schlecht.
    Amba interpretierte diesen intensiven Blick ganz anders. Er jagte ihr Angst ein. Er wirkte gerade so, als wisse dieser gutaussehende Senhor Miguel genauestens über sie und ihre Vergangenheit Bescheid. Sein knappes Ja tat ein Übriges, um sie zu verunsichern. Hätte nicht jeder andere stolz von seinen Heldentaten berichtet? Alle Männer, die Amba kannte, nutzten jeden noch so kleinen Ansporn, um über sich selbst zu reden. Immerhin stellte er ihr keine Fragen. Wenn er es auf die Belohnung abgesehen hätte, die ihre Schwäger auf ihre Ergreifung ausgesetzt hatten, dann hätte er doch sicher versucht, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Denn ohne ihr Gesicht gesehen zu haben und ohne mehr als ihren neuen Namen zu kennen, hatte er nicht den geringsten Anlass zu der Vermutung, es mit der Gesuchten zu tun zu haben.
    Draußen tobte der Regensturm unverändert weiter. Ihr Kutscher und sein Gehilfe hatten alle Hände voll zu tun, um überhaupt vorwärtszukommen. Gelegentlich hörte man sie fluchen oder die Pferde antreiben. Doch Amba wusste, dass sie es schaffen würden. Sie hatten schon üblere Strecken als diese im Monsun zurückgelegt.
    Sie lupfte den Vorhang, um zu sehen, wo sie sich befanden, und wandte sich dann an Miguel. »Ist es das große hellblaue Haus mit der extravaganten Statue in der Auffahrt, in dem Eure Freunde wohnen?«
    »Ja, genau das.«
    »Dann haben wir es gleich geschafft.« Amba rief dem Fahrer etwas zu, wahrscheinlich, so vermutete Miguel, die Beschreibung des Hauses, zu dem sie ihren Fahrgast brachten.
    »Ihr ahnt nicht, wie dankbar …« – weiter kam Miguel nicht, denn Amba hieß ihn mit einer brüsken Geste stillschweigen. Er kam sich vor wie ein Hund, der ein Kommando zu befolgen hatte.
    Wie hatte er diese sonderbare Dame jemals attraktiv finden können? Sympathisch war sie jedenfalls nicht, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand mit einem so komplizierten Charakter schön sein sollte.
    Wenig später bogen sie nach rechts in die Einfahrt zum Anwesen der Mendonças ein. Als die Kutsche angehalten und der junge Gehilfe die Tür geöffnet hatte, erhob sich Miguel – um gleich darauf zurück auf die Bank zu fallen. Von der Verletzung seines Beins hatte er während der Fahrt so gut wie nichts gespürt, aber kaum hatte er den Fuß belastet, durchfuhr ihn ein schneidender Schmerz. Als er erneut aufstand, versuchte er, sich auf dem unverletzten Bein zu halten, was ihm nur dank Ambas Hilfe gelang, die ihm einen Arm reichte. Miguel hielt die Luft an und wappnete sich für die Schmerzen, die der Ausstieg aus der Kutsche ihm bereiten würde. Die beiden Diener von Dona Amba stützten ihn, dennoch trieb es Miguel beinahe die Tränen in die Augen, als er den Fuß aufsetzte.
    Während der Gehilfe Miguels Pferd losband, wollte Miguel sich an Dona Amba wenden, die nun ihr verschleiertes Haupt aus dem Fenster reckte, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ihr braucht mir nicht zu danken. Sollte ich mich jemals in einer ähnlichen Notlage befinden, könnt Ihr Euch revanchieren.« Gerade wollte sie sich wieder hinter den Vorhang zurückziehen, als eine kräftige Windböe unter den Schleier vor Dona Ambas Gesicht fuhr, ihn aufblähte und anhob. Erschrocken presste Dona Amba beide Hände vor ihr Gesicht. Aber zu spät: Für den Bruchteil eines Augenblicks war ihr Antlitz entblößt gewesen. Miguel hielt den Atem an. Er war sich nicht sicher, ob er einer Sinnestäuschung erlegen war oder ob er tatsächlich in das schönste Gesicht geblickt hatte, das er bei einer Frau je gesehen hatte. Der Regen musste seine Sicht getrübt haben. Eine so makellose hellbraune Haut, so sinnlich geschwungene Lippen und eine so perfekte gerade Nase gab es im wahren Leben nicht. Und erst recht nicht diese leuchtenden, smaragdgrünen Augen. Er musste sich getäuscht haben. Natürlich, die Anstrengung der Fahrt. Die Schmerzen in seinem Bein. Die Verwirrung angesichts dieser merkwürdigen Situation.
    Miguel wäre sicher noch eine Weile wie angewurzelt im Regen stehen geblieben, hätte

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