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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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stellst zu viele Fragen, Kind. Du wirst Herrn Iqbal heiraten, und zwar gleich nach dem Ende des Monsuns.«
    »Jawohl, Onkel.« Bhavani nahm all ihre Kraft zusammen, um möglichst würdevoll den Raum zu verlassen. Erst als sie ihre eigene Kammer erreicht hatte, ließ sie die Schultern fallen und begann hemmungslos zu schluchzen.
     
    Als ihr Verstand wieder die Vorherrschaft über ihre Gefühle gewann, redete Bhavani sich selber gut zu. Vielleicht war dieser Iqbal gar nicht so übel. Er konnte durchaus attraktiv, weise und freundlich sein. Er war womöglich steinreich und ließ seiner jungen Frau sämtliche Freiheiten, die diese sich nur wünschen konnte. Als Moslem würde er Privilegien genießen, die sie als Hindus nicht hatten. Und die niedere Kaste? Ach, was machte das schon? Alles war besser, als weiterhin in diesem Haus zu leben und den zudringlichen Blicken ihrer Cousins und ihres Onkels, den Schikanen ihrer Tante und den Gemeinheiten ihres Bruders ausgesetzt zu sein. Und wenn sie dann noch ihre ayah mitnehmen konnte … mit Nayana an ihrer Seite würde sie alles überstehen, alles. Ja, sie würde sie sofort aufsuchen und ihr alles erzählen.
    Doch Nayana reagierte ganz anders, als Bhavani es sich ausgemalt hatte. Die inzwischen stark gealterte Frau schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte mit den Tränen.
    »Was tun sie dir an, diese, diese, diese …«
    »Beruhige dich, Nayana.« Bhavani reichte der Frau ein Taschentuch. »Es wird alles nur halb so schlimm. Und wir beide werden zusammenbleiben, darauf bestehe ich.«
    »So, tust du das?«
    »Ja.«
    »Ein Lederhändler, Bhavani-Schatz, der steht nur eine halbe Stufe über einem Gerber! Wie können sie dir das antun, ihrem eigen Fleisch und Blut?« Nayana beantwortete sich im nächsten Atemzug ihre eigene Frage. »Es ist die Mitgift. Diese Heuchler und Geizhälse! Ohne Mitgift nimmt dich keiner, egal, wie schön oder welcher vornehmen Abstammung du bist.«
    Bhavani war ein hochintelligentes Mädchen. Doch aufgrund ihrer Jugend und ihres abgeschiedenen Lebens sowie mangels einer angemessenen Bildung war sie auf diesen Gedanken noch gar nicht gekommen. Über Geld wurde im Haus ihres Onkels nicht gesprochen, jedenfalls nicht mit den weiblichen Mitgliedern der Familie. Und so war Bhavani immer davon ausgegangen, dass ihr Onkel ihr eines Tages eine angemessene Partie suchen würde. Er hatte doch Vermögen, oder etwa nicht? Und was bei den Jungen in die Erziehung gesteckt wurde, in Reitpferde und silberne Säbel, das floss bei den Mädchen nun einmal in die Mitgift. Warum sollte es bei ihr anders sein?
    »Vielleicht ist es aber wirklich ein guter Mann«, versuchte Bhavani ihre aufgebrachte
ayah
zu beruhigen.
    »Er kann nicht gut sein. Er ist ein besserer Gerber. Und er findet die Zustimmung deiner Tante, was wohl alles über ihn sagt, was man wissen muss. Er ist ein Scheusal, und sie wissen es. Es bereitet ihnen Spaß, einem solchen Ungeheuer deine Jungfräulichkeit zum Geschenk zu machen – das kommt sie billiger als eine angemessene Mitgift.«
    »Aber welcher Mann würde die Jungfräulichkeit ebenso hoch schätzen wie Gold und Juwelen?«
    Nayana sah ihren einstigen Schützling prüfend an. »Ach, Bhavani, wenigstens deine Unschuld, die des Leibes und die des Geistes, haben sie dir noch nicht genommen.«
    Das entsprach nicht ganz den Tatsachen, doch Bhavani ließ es dabei bewenden. Sie mochte ihre geliebte Nayana nicht mit Schilderungen dessen quälen, was ihre Tante ihr antat. Ihre kindliche Unschuld war unwiederbringlich verloren, ihr Glaube an das Gute im Menschen genauso zerstört wie ihr Vertrauen darauf, dass alle ihr Bestes wollten.
    »Weißt du was, Nayana? Wir sehen ihn uns einfach an. Wir schleichen uns morgen aus dem Haus, denn Tante Sita wird mehrere Stunden bei ihrem Schneider weilen und Onkel Manesh ist zu einer mehrtägigen Reise aufgebrochen. Es ist die ideale Gelegenheit.«
    Erneut schlug Nayana sich die Hand vor den Mund. »Das geht doch nicht!«
    Verschmitzt lächelte Bhavani ihr zu und lief, als sie das Keifen ihrer Tante vernahm, zurück zum Haupthaus.
    Diesmal ertrug Bhavani die Schläge mit mehr Gleichgültigkeit als sonst. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht immer die Gesellschaft dieser Alten suchen sollst? Du magst hochgeboren sein, aber im Grunde deines Herzens bist du auch nur eine Dienstmagd!«, schrie Tante Sita und verpasste Bhavanis Hinterteil einen weiteren Hieb mit dem Bambusstock.
     
    Am nächsten Tag ging Bhavani,

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