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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kaum dass die Luft rein war, zu Nayana. Aus einem Bündel kramte sie einen verschmutzten, abgetragenen Turban, einen einfachen
dhoti
sowie eine schlichte
kurta.
»Das hat mir der Stallbursche geliehen. Schnell, schließ den Vorhang. Ich will mich umziehen. Und dir habe ich auch etwas mitgebracht.« Sie zog einen feinen Sari aus ihrem Beutel, den Nayana zu ihrem Schrecken als einen der Hausherrin identifizierte.
    »Du bist verrückt geworden!«
    »Überhaupt nicht. Du wirst als feine Dame auftreten, ich als dein Bursche. So werden wir überhaupt nicht auffallen. Sollte irgendjemand nach einem jungen Mädchen und seiner alten ayah Ausschau halten, wird er nicht darauf kommen, dass wir die Gesuchten sind.«
    Die beiden zogen sich still ihre Verkleidungen an. Unter anderen Umständen hätten sie sich wahrscheinlich vor Lachen kaum halten können, doch jetzt war ihre Angst vor Entdeckung sowie ihre Nervosität angesichts der Verwegenheit ihres Vorhabens so stark, dass nicht ein einziges Kichern ihren Kehlen entschlüpfte.
    Bhavani lupfte den Vorhang, der Nayanas Schlafstatt von der der anderen weiblichen Bediensteten trennte. Auch sie hatten anscheinend die Abwesenheit der Herrschaft dazu genutzt, privaten Vergnügungen nachzugehen – ein Glück, denn wäre es anders gewesen, hätten Bhavani und Nayana kaum unbeobachtet ihren Plan umsetzen können.
    Und so verließen am späten Vormittag zwei Gestalten das Grundstück des Landvermessers Manesh, die zuvor nie in der Nachbarschaft gesehen worden waren: eine ältere Dame mit ihrem jungen Burschen, der so auffallend hübsch war, dass die Frauen und Mädchen des Viertels sich die Köpfe nach ihm verdrehten.
    Maneshs Haus befand sich unweit des Stadtzentrums. Dennoch waren Bhavani und Nayana, als sie endlich dorthin gelangt waren, verschwitzt und müde. Die unebenen Wege, der Unrat und die Kadaver, auf denen die Geier hockten, die drückende Hitze und die Angst davor, erwischt zu werden, hatten ihnen arg zugesetzt. Im Ortskern fragten sie sich nach dem Kaufmann Iqbal durch, was sich nicht als allzu schwer erwies. Der Mann schien tatsächlich ein großes Geschäft zu haben, denn jeder kannte ihn. Manche Leute, bei denen sie sich nach dem Weg erkundigten, versuchten die potenzielle Kundschaft in ihre eigenen Läden zu locken.
    »Ihr braucht Schuhe, werte Dame? Bei mir bekommt Ihr das Leder viel günstiger. Iqbal ist ein Halsabschneider.«
    »Benötigt Ihr Haarkämme, Nasenstecker oder Armreife? Besucht meinen Laden, ich mache Euch die besten Preise.«
    Doch Bhavani und Nayana beschieden alle mit derselben Antwort: Sie seien in einer sehr delikaten privaten Angelegenheit auf der Suche nach besagtem Herrn.
    Nachdem man ihnen zahllose Male den falschen Weg gewiesen hatte – denn zuzugeben, den Weg nicht zu kennen, kam für die Leute nicht in Frage –, erreichten sie schließlich einen baufälligen Schuppen, der anscheinend als Lager für die gegerbten Tierhäute diente. Es roch so streng, dass Bhavani nur noch durch den Mund atmete und Nayana sich einen Zipfel ihres Schleiers vor die Nase drückte. Ein paar zerlumpte, verhärmte Gestalten trieben sich auf dem Gelände herum. Sie stierten den unerwarteten Besuch gierig an, als wollten sie abschätzen, was bei ihnen zu holen sei. Doch bevor es zu irgendwelchen Übergriffen kommen konnte, erschien ein älterer, kahlköpfiger Mann und blaffte sie an: »Was habt ihr hier verloren?«
    »Wir, äh, nun ja …«, stammelte Nayana.
    »Meine Herrin will sagen: Wir suchen nach dem ehrenwerten Iqbal-sahib«, schritt Bhavani ein.
    »Soso. Und was wollt ihr von ihm?«, wandte sich der Mann an Nayana.
    Diese hatte sich wieder gefasst und antwortete: »Das würden wir lieber mit ihm persönlich besprechen. Es handelt sich um eine Angelegenheit privater Natur.«
    Der Kahlkopf blickte abschätzig an Nayana und ihrem »Burschen« herab, bevor er sich endlich dazu durchrang, die beiden Besucher mit einem Wink in sein Büro zu bitten.
    »Ich bin Iqbal. Also: Worum geht es?«
    Nayana und Bhavani sahen einander bestürzt an. So war das nicht geplant gewesen. Sie hatten nur einen Blick auf Bhavanis zukünftigen Gemahl werfen wollen, gehofft, ihn vielleicht sogar dabei beobachten zu können, wie er sich gab und wie er sprach. Dass sie gleich in die Höhle des Löwen vordringen würden, damit hatten sie nicht gerechnet. Sie schwiegen einen Augenblick und musterten Iqbal verstohlen.
    Seine Statur war in jeder Hinsicht mittelmäßig. Mittelgroß, nicht

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