Der indigoblaue Schleier
März oder April würden sie abreisen. Und bis dahin konnte ja noch allerhand passieren.
Es war ein Tag wie jeder andere, dachte Miguel. Der
mali
ging prüfend durch den Garten und gab seinen Gehilfen Anweisungen, wo sie was zu beschneiden hatten. Der Bodenfeger fegte ununterbrochen, ohne dass er jemals fertig geworden wäre. Im Küchentrakt schimpfte der Koch mit einem Burschen, den er wahrscheinlich des Diebstahls bezichtigte – Miguels Kenntnisse der Konkani-Sprache beschränkten sich auf einige wenige Redewendungen, so dass er die Streiterei nicht verstand, doch er wusste, dass es meist um dasselbe Thema ging. Das Wetter war wie an jedem Tag der vergangenen Wochen auch, nämlich sonnig, trocken, warm und windig, und so würde es allen Vorhersagen der Einheimischen zufolge noch die nächsten Monate bleiben. In der Stadt wäre sicher ebenfalls alles wie eh und je: Furtado fleißig arbeitend im Kontor, Rujul Geld zählend in seinem Laden, Carlos Alberto beim Schmieden neuer Gemeinheiten in seiner düsteren Bude. Und bei den Mendonças sprach man seit der Bekanntgabe der Verlobung von Dona Assunção über nichts anderes als die bevorstehende Hochzeit der Hausherrin.
Miguel langweilte sich.
Nervosität angesichts seiner eigenen Reise fühlte er nicht. Hatte ihn der gemächliche Rhythmus, den sein Leben in der Kolonie angenommen hatte, schon so weit eingelullt, dass er nicht mehr in der Lage war, Aufregung, Reisefieber oder Vorfreude zu empfinden? Nun, vielleicht änderte sich das ja, wenn erst Crisóstomo mit den Besorgungen aus der Stadt zurückkam. Wo trieb der Bursche sich eigentlich so lange herum?
Miguel wandte sich wieder dem Briefbogen zu, der vor ihm lag. Er hatte bisher nichts weiter als das Datum zu Papier gebracht: 17 . Januar 1633 . Mehr wollte ihm einfach nicht einfallen. So gern er seiner Familie Neuigkeiten aus der Kolonie berichtet hätte, so ungern hielt er sich mit Klatsch auf. Und an echten Nachrichten gab es nichts, absolut nichts, was er hätte schildern können. Außer, dass er am nächsten Tag vorhatte, Dona Amba seine Aufwartung zu machen, und in der kommenden Woche seine große Reise durch Indien antreten würde. Und das war genau genommen auch nichts, was Miguel des Erzählens für würdig gehalten hätte, obgleich er es wohl oder übel erwähnen musste. Hinterher, ja, da würde er sicher eine Menge zu berichten haben. Wenn er denn je zurückkam. Alle, ausnahmslos alle seine Freunde und Bekannten hatten ihn gewarnt, dass eine Reise durch dieses riesige Land gefährlich war, zumal er nur in Begleitung eines unerfahrenen
punkah wallahs
reisen wollte.
Aber welchen Sinn hätte eine Reise gemacht, die keinerlei Gefahren barg?
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D er Tag, der nach christlicher Zeitrechnung der 18 . Januar 1633 war, begann damit, dass Amba im Garten genau dreimal hintereinander von herabfallenden Frangipani-Blüten getroffen wurde. Das unbestimmte Gefühl, eine ähnliche Situation schon einmal erlebt zu haben, nagte an ihr. Wann war das gewesen? Und war ihr danach Gutes oder Schlechtes widerfahren? Wie war dieses Zeichen zu deuten? Ach, alles Unsinn! Sie schüttelte kurz den Kopf über ihre gelegentlichen Rückfälle in kindlichen Aberglauben und setzte ihren Rundgang durch den Garten staunend fort.
Dakshesh hatte wirklich Wunder vollbracht. Die Bäume wuchsen gerade und makellos, die Ziersträucher blühten in voller Pracht, die Hecken, Gräser und Blumen waren so perfekt beschnitten, dass sie wie gemalt wirkten. Der süße Duft der Champa-Blüten lag in der Luft, vermischt mit einer Ahnung von Salzwasser. Wenn der Wind aus Westen wehte, brachte er den Duft der See mit sich. Die sanfte Brise ließ die Blätter rascheln. Es war eine leise Melodie, die Amba ein Gefühl tiefen Friedens empfinden ließ. Es war einfach herrlich hier. Sie hatte sich, gemeinsam mit ihrer Wahl-Familie, ein Idyll geschaffen, das sie, zumindest zeitweise, die Bedrohungen der Außenwelt vergessen ließ.
Jetzt aber riss sie Hufgetrappel aus ihren kontemplativen Betrachtungen. Wer mochte das sein? Sie erwartete keinen Besuch, und die Handwerker und Händler der Gegend bewegten sich nicht auf Pferden fort, sondern zu Fuß oder auf Ochsenkarren. Amba versteifte sich. Es konnte doch nur bedeuten, dass jemand kam, den sie nicht sehen wollte. Der grässliche Manohar vielleicht? Womöglich ein Abgesandter der Inquisition? Oder würde sich nun ihre allerschlimmste Befürchtung bewahrheiten?
Doch der Besucher, der sich auf
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