Der indigoblaue Schleier
habe.«
»Selbstverständlich. Mein Gatte ist so oft fort, dass ich Befugnisse habe, die weit über das hinausgehen, was eine Ehefrau üblicherweise entscheiden darf. Aber das wisst Ihr ja bereits.«
Akash beugte sich ein wenig vor und senkte die Stimme. »Schickt die Diener fort.«
Amba rief nach Nayana und wies diese an, den anderen ihre Aufgaben zuzuteilen und dafür zu sorgen, dass sie sie auch erledigten, und zwar möglichst außer Hörweite der Veranda.
»Und? Wie lange wollt Ihr mich noch auf die Folter spannen?«, fragte Amba, um einen Plauderton bemüht, der ihr jedoch nicht ganz gelingen wollte.
»Um es kurz zu machen«, flüsterte Akash, »mir ist auf meinen zahlreichen Reisen durch Indien eine Suchmeldung aufgefallen, die außergewöhnlich oft verlesen wird, in großen Städten genau wie in abgelegenen Winkeln. Man fahndet nach einer Frau, die anscheinend einen sehr schweren Diebstahl begangen hat – nach dem Kopfgeld zu urteilen, das man auf diese Verbrecherin ausgesetzt hat, muss es sich um ein immenses Vermögen handeln, das die Frau entwendet hat.«
»Ja, auch mir ist aufgefallen, wie intensiv nach dieser Frau gesucht wird«, erwiderte Amba im kühlsten Ton, dessen sie fähig war. »Sonderbar, nicht wahr? Wie es scheint, liegt die Tat schon geraume Zeit zurück. Ich bezweifle, dass man die Frau noch findet.« Nach einer kurzen Pause hob sie fragend die Schultern. »Und was, mein lieber Akash-sahib, hat Euer Besuch nun mit dieser zweifelhaften Dame zu tun?«
»Ich, ähm, ich …«, geriet er ins Straucheln, »… ich dachte, Euch sei diese Fahndung nicht bekannt. Ich wollte Euch in aller Freundschaft warnen. Falls sich eine Frau mit bemerkenswert grünen Augen in Eure Nähe verirrt, solltet Ihr Euch vorsehen.«
»Grüne Augen? Handelt es sich vielleicht gar nicht um eine Inderin, deren man habhaft werden will, sondern um eine Europäerin? Bei den Portugiesinnen sieht man diese Augenfarbe gelegentlich.«
»Ich weiß es nicht. Ich dachte nur …« Akash verstummte und blickte betreten auf seine Hände.
»Ich danke Euch für diese Warnung, mein Freund. Und nun lasst uns über erfreulichere Dinge reden. Habt Ihr noch Zeit, mir bei einem kleinen Imbiss Gesellschaft zu leisten?«
Der Vormittag verging wie im Flug. Als Akash aufbrach, sehr viel später als geplant, war Amba enttäuscht. Es tat gut, sich mit ihm zu unterhalten. Er war ein guter Erzähler, und wenn er seine scharfsinnigen Beobachtungen über Menschen zum Besten gab, deren Bekanntschaft er unterwegs gemacht hatte, imitierte er dabei Mimik und Gestik der Leute so treffend, dass Amba ein paarmal laut aufgelacht hatte. Umgekehrt hatte auch sie ihn manchmal zum Lachen gebracht, etwa bei ihrer Schilderung der absonderlichen Gewohnheiten der Katholiken. Bei der sogenannten Kommunion wurde eine Hostie gereicht, die symbolhaft den »Leib Christi« darstellte – sie verspeisten demnach ihren Heiland, war das zu fassen? Barbaren, allesamt!
»Ich hoffe, Ihr seid bald wieder in der Gegend und erfreut mich mit Eurem Besuch?«, fragte sie ihn, als man ihm schon sein Pferd brachte.
»Ich bezweifle, dass es so bald sein wird. Außerdem wird mir jeder Tag fern von Euch wie eine Ewigkeit erscheinen.«
Amba errötete und war wieder einmal froh darüber, den Schleier zu tragen. So unmissverständlich hatte schon lange niemand mehr mit ihr geschäkert.
»Mir geht es ähnlich«, sagte sie und schämte sich im selben Augenblick ihrer Offenherzigkeit.
»Nun, ich denke, Ihr habt so viele Verehrer, dass Ihr mich ganz schnell vergessen werdet. Seht Ihr, da kommt ein weiterer Galan.« Damit deutete Akash auf ein herannahendes Pferd samt Reiter und lachte.
Amba fiel es schwer, im selben frivolen Ton zu antworten. Sie erschrak, als sie sah, wer sich da näherte. Denn selbst von weitem erkannte sie an dem Pferd und der Kleidung des ungebetenen Besuchers, dass es sich um Miguel Ribeiro Cruz handelte.
»Es ist nur ein Bote meines Gemahls«, sagte sie, woraufhin Akash eine düstere Miene zog. Amba hatte während des kurzweiligen Gesprächs mit Akash ganz vergessen, dass dieser ihre wahren Familienverhältnisse ja gar nicht kannte. Oder doch?
»Lebt wohl, Dona Amba!« Akash winkte ihr zu und ritt in vollem Galopp davon. Am Tor, das ihre Grundstücksgrenze markierte, begegneten die beiden Reiter sich und nickten einander zu.
Amba blieb nicht einmal genügend Zeit, um sich zu sammeln und auf einen anderen Besucher einzustellen. Wie konnte er es
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