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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Weisheit um eine Eingebung, während er sich mit der anderen Hand bekreuzigte.
     
    Drei Straßenzüge weiter stand der junge Crisóstomo mit beleidigtem Gesicht vor dem Geschäft des Senhor Pinho und spuckte in den Staub. Der Inhaber hatte ihm, dem Angehörigen einer niedrigen Kaste, den Zugang zu dem Ladenraum verwehrt. Da war er nun der »persönliche Gehilfe« von Miguel Ribeiro Cruz, und was hatte er davon? Nichts. Er musste alle möglichen blödsinnigen Arbeiten für seinen Dienstherrn verrichten, was an sich nicht weiter schlimm gewesen wäre. Doch er musste sich auch Demütigungen aussetzen, die er zuvor nie erlebt hatte. Wie zum Beispiel jetzt. Damit hatte Crisóstomo nicht gerechnet. Er hatte geglaubt, wenn ihn sein Herr schon beförderte, würde er auch von anderen Leuten als höherrangig angesehen werden. Aber weit gefehlt. Menschen wie Senhor Pinho, ein Inder, der sich allzu viel auf den einen portugiesischen Vorfahren einbildete, dem er seinen Namen verdankte, hatten einen sicheren Instinkt dafür, wer wie weit unter ihnen stand. Und sie ließen es Crisóstomo bei jeder Gelegenheit spüren. Also musste er nun in der schon sehr heißen Januarsonne stehen und darauf warten, dass Senhor Pinho die Waren zusammenstellte, die Senhor Miguel bei ihm geordert hatte: ein Reisezelt, Schlafmatten, leichtes Kochgeschirr und diverse andere Dinge, die sie für ihre Reise benötigen würden. Gerade als Crisóstomo einen Finger auf sein rechtes Nasenloch gelegt und tief Luft geholt hatte, um das linke Nasenloch mit einem kräftigen Schnauben von Schmutz zu befreien, rief man ihn. »He da, Junge, trödel nicht so herum! Die Sachen sind bereit, also mach dich gefälligst nützlich.«
     
    Makarand warf dem Burschen einen Blick zu, aus dem halb Mitleid, halb Gehässigkeit sprach. Das Schicksal des geprügelten Laufburschen war ihm selber erspart geblieben. Nun ja, streng genommen war auch er nur ein Laufbursche, aber immerhin stand er in Diensten von Dona Amba, die ihn und seinesgleichen deutlich besser behandelte, als es die Städter, Portugiesen wie Inder, mit ihrem Gesinde taten. Außerdem verfügte er nicht nur über ein wenig eigenes Geld, sondern auch über ausgezeichnete Manieren. Und er war natürlich besser gekleidet als der arme Kerl, der auf der anderen Straßenseite stand und den er nicht einmal bemerkt hätte, wenn nicht Senhor Pinho ihn so herrisch gerufen hätte. Dank seiner Kleidung und Erziehung konnte Makarand durchaus als Sohn eines Händlers oder wohlhabenden Handwerkers durchgehen, so dass ihm die üblichen Schikanen, die Leute seiner Herkunft zu ertragen hatten, erspart blieben. Achselzuckend spazierte er weiter. Was ging ihn dieser Kerl und dessen schlechtes Karma an? Er hatte schließlich etwas Besseres vor. Von dem Geld, das er der Köchin Chitrani und der immer schusseligeren Nayana abgeluchst hatte, wollte er heute ein Geschenk für Anuprabha kaufen – und es musste ein sehr, sehr schönes Geschenk sein, wenn er das anspruchsvolle Mädchen damit beeindrucken wollte. Ein perlmuttener Armreif vielleicht? Oder ein Samtband für ihr göttliches Haar?
    Zur selben Zeit ließ Anuprabha die Finger durch Ambas seidig glänzendes Haar gleiten und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum diese wunderschöne Frau keinen Mann und keine Kinder hatte, sondern es anscheinend vorzog, mit ihrer aufgelesenen Dienerschaft zusammenzuleben. Andererseits wusste sie selber ja am besten, was einer Frau drohte, wenn sie Pech mit ihrem Ehemann hatte. Sie musste ihr Leben in den Dienst des Gemahls stellen, nur um von ihm bei jeder Gelegenheit beschimpft und verprügelt zu werden, ganz zu schweigen von den Dingen, die nachts von ihr verlangt wurden. Sie hatte ihre Eltern oft genug dabei gehört, bevor die beiden an der Cholera gestorben waren, und sie hatte ihren Onkel und ihre Tante, die sie aufgenommen hatten, sogar dabei beobachtet. Es war nichts, was Anuprabha erstrebenswert schien. Aber was wusste sie schon? Die Frauen sprachen oft von der Liebe, und dann klang es so, als sei auch der körperliche Akt etwas Wundervolles. So unglaublich es auch war: Anuprabha war noch Jungfrau. Sie hatte sich erfolgreich allen Annäherungsversuchen widersetzt und sich ihrer Cousins und ihres Onkels erwehrt. Lange hätte sie sich die Männer nicht mehr vom Leib halten können, doch dann war ihr, gerade noch rechtzeitig, die Flucht geglückt.
    Das Schicksal hatte es gut mit ihr gemeint. Von Ambadevi aufgenommen zu werden hatte sich als

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