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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Kind. Und genau aus diesem Grund würde sie die
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nun auch schlafen lassen.
    Auf Zehenspitzen schlich Amba sich aus dem Raum.

[home]
21
    F rei Martinho war entzückt. Endlich einmal ein Mann, der auf Anhieb begriff, worum es ihm ging. Endlich einmal jemand, der sich in der Kolonie auskannte und ihn in Dinge einweihte, die ihm sonst verborgen geblieben wären. Endlich ein Mann mit dem Mut, ihm gegenüber kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
    Von den Indern – ein schreckliches Volk, alles Lügner und Faulpelze! – erwartete er ja schon gar nichts anderes mehr, als dass sie sich seinen Anordnungen widersetzten und sich dabei auch noch so benahmen, als seien sie die hilfsbereitesten Menschen der Welt. Von den Europäern dagegen, die in der Kolonie lebten, hatte er sich wirklich mehr versprochen. Doch nein: Auch sie zeichneten sich durch schmeichlerische Verlogenheit aus, eine Unsitte, die sie sich hier von den Eingeborenen abgeschaut haben mussten. Alles katzbuckelte vor ihm, doch nichts geschah. Die Zahl der Verhaftungen war gering, die überführten Ketzer waren schnell wieder auf freiem Fuß. Denn selbst unter den katholischen Geistlichen fanden sich immer wieder solche, die bereit waren, den Gefangenen zur Flucht zu verhelfen, oder sogar solche, die die Verdächtigen vorher warnten. Ihm gegenüber heuchelten sie alle Gehorsam, aber in Wahrheit trieben sie genau das, wonach ihnen der Sinn stand. Es war zum Verzweifeln. Frei Martinho bekreuzigte sich und bat seinen Schöpfer, ihm Kraft für die übermenschlichen Anstrengungen zu schenken, die ihm hier abverlangt wurden. Und er dankte ihm für den jungen Mann, der ihm nun gegenübersaß.
    Carlos Alberto Sant’Ana war genau die Person, die er jetzt brauchte. Dass die Geistlichen vorgaben, nicht so genau über die verwahrlosten Sitten Bescheid zu wissen, über Freudenhäuser oder Wettbüros, konnte er ihnen schlecht verdenken. Und von den Sündern selber Auskunft zu verlangen hatte sich als äußerst schwierig erwiesen. Da kam dieser Sant’Ana ihm gerade recht: ein Reuiger, ein Mann, der alle Lasterhöhlen Goas kannte, der in die Abgründe der menschlichen Seele geschaut hatte. Er hatte ihm freimütig gestanden, dass er gehurt und gesoffen, gespielt und betrogen hatte. Und er hatte überzeugend dargelegt, warum er diesem Leben nun den Rücken zukehrte und sich wünschte, dass ihm seine Sünden vergeben werden mögen. Frei Martinho versicherte dem jungen Mann, dass seine Seele durchaus gerettet werden könne – sofern er ihm und der heiligen Inquisition die Namen der Leute nannte, die sich und andere durch das Äußern ketzerischen Gedankenguts in Gefahr brachten.
    Carlos Alberto Sant’Ana war dazu mehr als bereit gewesen, insbesondere nachdem er Frei Martinho davon überzeugt hatte, dass eine gewisse Aufwandsentschädigung unentbehrlich sei. »Ich werde in Zukunft vielleicht bei mancher Schankmagd nicht mehr so wohlgelitten sein, dass sie mir gratis einen Teller Suppe gibt.« Natürlich, das leuchtete dem kirchlichen Würdenträger ein. Also versprach er dem jungen Mann eine Prämie für jeden Ketzer, den er ihm zuführte. Ein Geschäft, das für beide Seiten überaus erfolgversprechend war.
     
    Genau in dem Moment, in dem Carlos Alberto sein Gegenüber abschätzte und sich insgeheim für seinen brillanten Einfall beglückwünschte, dem von Ehrgeiz zerfressenen Mönch zuzuarbeiten, passierte eine elegante Sänfte die Straße vor dem Audienzzimmer. Keiner der beiden Männer nahm Notiz von ihr, obwohl sie, hätten sie einen Blick durch das geöffnete Fenster nach draußen geworfen, sie hätten sehen können. Umso deutlicher sah der Passagier der Sänfte, welche zwei da die Köpfe zusammensteckten. Senhor Rui alias Rujul bekam feuchte Hände, sein Herzschlag beschleunigte sich. Wenn dieser betrügerische Hund nun gemeinsame Sache mit der Inquisition machte? Ihn beschlichen schreckliche Ahnungen, denn wer würde sich besser zum Sündenbock eignen als er, der er Inder war, wohlhabend dazu, und von dessen Verfehlungen Carlos Alberto genau wusste? Er, der renommierteste Juwelier der Kolonie, hatte sich von der Gier verleiten lassen, die Reliquienkästchen anzufertigen – wofür er bis heute nicht einmal die volle Summe bezahlt bekommen hatte. War nun der Tag gekommen, den er so lange gefürchtet und auf den er sich vorbereitet hatte? War es Zeit, die Flucht zu ergreifen? Rujul schloss die Hand fest um die kleine Ganesha-Figur in seiner Tasche und bat den Gott der

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